Ich darf nicht vergessen
nicht, noch einmal herzukommen. Von jetzt an habe ich keine Tochter mehr, sage ich.
Ich spüre, wie eine Last von mir abfällt, als ich die Worte ausspreche. Ich habe keine Tochter! Keinen Mann! Keinen Sohn! Keine Schulden! Ich werde meine Sachen packen. Ich werde mit unbekanntem Ziel verreisen. Ich werde mir Urlaub nehmen. Ich habe noch eine Menge Resturlaub. Ich besitze Willenskraft.
Mir fallen die Kontoauszüge ein, die Fiona so intensiv studiert hat. Und ich habe Geld. Niemand wird wissen, wohin ich fahre. Niemand kann mir folgen. Ich werde nicht länger eine Gefangene in meinem eigenen Haus sein. Niemand wird mich mehr beobachten und mich von Zimmer zu Zimmer verfolgen. Was für eine herrliche Freiheit!
Jennifer, das meinen Sie alles nicht ernst, sagt Magdalena. Aber sie hat ihre Züge nicht unter Kontrolle. Ihr Gesichtsausdruck lässt keinen Zweifel zu. Heimlicher Triumph.
Halten Sie sich da raus. Sie stecken doch mit ihr unter einer Decke, oder? Sie haben sich mit ihr gegen mich verschworen. Also gut. Sie sind entlassen. Raus hier, alle beide. Ich habe zu tun.
Magdalena stemmt die Hände in die Hüften. Sie können mich nicht entlassen.
Wie bitte?
Sie können mich nicht entlassen. Sie sind nicht meine Chefin.
Wenn ich nicht Ihre Chefin bin, wer dann?
Magdalena zeigt auf Fiona. Sie. Und Ihr Sohn. Die beiden haben mich eingestellt. Sie haben den Vertrag mit der Agentur unterschrieben. Sie bezahlen mich.
Nein. Ich bezahle Sie. Das Geld kommt von meinem Konto, so viel steht fest.
Auf dem Scheck, den ich jeden Monat bekomme, steht aber nicht Ihr Name.
Ein Taschenspielertrick, weiter nichts. Das Geld wird nur hin und her geschoben. AuÃerdem vergessen Sie ganz, dass das hier mein Haus ist. Ich entscheide, wer zur Tür hereinkommt.
Fionas Kinn zittert. Nicht mehr lange, sagt sie.
Wie bitte?
Es wird nicht mehr lange dein Haus sein. Mark und ich sind uns einig.
Seit wann seid ihr beide denn Freunde?
Wir reden miteinander. Wir sprechen uns ab, wenn nötig. Und wir werden nicht zögern, dich entmündigen zu lassen und in einem Pflegeheim unterzubringen. Wir haben genügend triftige Gründe. Wie oft mussten wir schon den Notarzt rufen? Wie oft mussten wir schon mit dir zur Notaufnahme ins Krankenhaus fahren? Es gibt jede Menge Augenzeugenberichte. Ganz zu schweigen von den polizeilichen Ermittlungen, die derzeit laufen.
Ihr steckt also alle unter einer Decke.
Ja, wir alle, sagt Magdalena. Die ganze Welt! Sie geht zum Herd, setzt den Wasserkessel auf. Jetzt gibtâs erst mal Tee, sagt sie. Dann machen wir einen Spaziergang. Wir müssen einkaufen. Helfen Sie mir, eine Einkaufsliste zusammenzustellen. Wir brauchen Milch. Und Nudeln. Heute Abend gibtâs ein Nudelgericht. Falls wir frischen Basilikum bekommen, mache ich meine TomatensoÃe. Wenn nicht, reiben wir einfach ein bisschen Parmesankäse über die Nudeln. Den müssen wir auch besorgen. AuÃerdem ist das Salz fast alle. Hier ist der Einkaufszettel. Wollen Sie noch was draufschreiben? Hab ich irgendwas vergessen?
Ich nehme den Einkaufszettel. Betrachte die Zeichen darauf. Gekritzel wie von HühnerfüÃen. Nichts, was einen Sinn ergibt. Ich nicke ernst, um zu zeigen, dass ich verstehe. Etwas nervt mich. Der Wasserkessel pfeift. Tee. Milch. Zucker. Was ist gerade passiert? Und warum reibt Fiona sich die geröteten Augen und schaut mich nicht an?
Gut. Beruhigen Sie sich. Sie müssen sich wirklich beruhigen. Wir trinken eine Tasse Tee und plaudern ein bisschen, und dann gehen wir einkaufen. Sie wendet sich an Fiona. Fahren Sie ruhig nach Hause. Ich komme schon zurecht. Sie hat es überstanden. Morgen wird sie sich an nichts erinnern. Vielleicht schon in einer Stunde nicht mehr.
Aber sie hat mich noch nie so angegriffen. Mark ja, aber mich nicht.
Das stimmt nicht. Sie waren nur nicht dabei. Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen ⦠Die Situation hat sich verschlimmert.
Das hat Dr. Tsien mir auch gesagt. Er sagt, sie hat jetzt die schlimmste Phase erreicht. Die Nächste wird einfacher. Trauriger, aber einfacher. Es ist bald so weit. Uns bleiben nicht mehr viele Möglichkeiten.
Ich höre aufmerksam zu. Ich glaube, das ist wichtig, aber die Wörter lösen sich in Wohlgefallen auf, kaum dass sie ausgesprochen sind.
Ich nehme ein Plätzchen von einem Teller, den man mir reicht. Ich beiÃe hinein. Es schmeckt süÃ. Ich trinke die heiÃe Flüssigkeit aus der
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