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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
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vielen Piercings in den Ohren und Wangen. Natürlich ganz in Schwarz gekleidet.
    Was ich in New York gemacht hätte, weiß der Kuckuck. Anscheinend habe ich mir wenigstens ein paar Gedanken gemacht, denn ich hatte Sophias oder Daphnes oder Helgas Portemonnaie gefilzt und etwas geklaut, was ich für eine Kreditkarte hielt, was sich jedoch später als Automobilclub-Mitgliedskarte entpuppte. Die hattest du ihr gegeben, für den Fall, dass ihr Auto mal liegen bleiben sollte. Ich war ziemlich naiv. Du warst gerade von der Arbeit gekommen, als die Polizei mich nach Hause brachte. Du hattest dir noch nicht mal die Jacke ausgezogen. Und du hast dir ganz ruhig angehört, was die Cops dir berichteten, hast mich nicht bestraft, hast das Thema nie wieder erwähnt. Hast mich nur gebeten, mir vor dem Abendessen die Hände zu waschen. Wie du dir vorstellen kannst, war ich stinkwütend.
    Das zweite Mal war anders. Ich hatte mich gerade von Colin getrennt. Deinetwegen. Ich drehte fast durch. Es war, als hätte sich die Hölle vor mir aufgetan, und ich war mir nicht sicher, ob ich bereits darin schmorte oder im letzten Moment davor bewahrt worden war. Mein Körper reagierte auf seine Weise, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte: Mein Herz raste, ich bekam kaum Luft, und ich hatte am ganzen Körper Ausschlag. Von alldem hast du anscheinend überhaupt nichts mitbekommen. Du bist ganz normal morgens zur Arbeit gefahren und abends wieder zurückgekommen. Mark war schon auf dem College. Dad war … na ja, wer weiß, wo er war. Und ich dachte, ich würde sterben. Alles geriet außer Kontrolle, und ich hatte Angst. Also bin ich wieder abgehauen. Aber diesmal war ich schlauer. Ich habe eine Tasche mit Sachen gepackt, bin zu Amanda gegangen und habe um Asyl gebeten. Sie war begeistert. Sie hatte ihre Rolle als Patin sehr ernst genommen und mir immer wieder versichert, ich könne jederzeit zu ihr kommen – vor allem, wenn ich Ärger mit dir hätte. Wahrscheinlich wundert es dich nicht, dass sie ihre heimliche Freude daran hatte, wenn ich mich bei ihr über dich beklagte. Ich habe sie immer geliebt. Ich habe ihre Härte gesehen, die Art, wie sie mit anderen umging, das Gesicht, das sie der Welt zeigte. Aber mir ist es immer gelungen, diese Barrieren zu durchbrechen. Natürlich habe ich sie ausgenutzt. Schamlos. Und bei der Gelegenheit war es nicht anders. Ich habe ihr meine Klagen über dich zu Füßen gelegt und zugesehen, wie ihr Gehirn zu arbeiten begann.
    Wie ich dir heute bereits gesagt habe, glaube ich, dass sie das schon seit Jahren geplant hatte. Sie hatte nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Sie hatte zugesehen, kühl kalkuliert und gehofft. Hatte beobachtet, wie ich mich von einem anstrengenden, aber zugewandten Kind zu einem Ungeheuer mit Mutterproblemen entwickelte. Hatte auf ihre Chance gewartet. Und als ich vor ihrer Tür erschien, glaubte sie, ihre Chance sei gekommen. Wir saßen an ihrem Wohnzimmertisch, und sie hatte diesen merkwürdigen Blick. Ungewohnt bei Amanda, die doch sonst so resolut war. Aber ich sah ihr die Beklommenheit an, als sie mich fragte, ob ich zu ihr und Peter ziehen wollte. Sie schlug mir vor, für den Rest meiner Highschoolzeit bei ihnen zu wohnen. Mich von dir, Dad und Mark zu trennen. Natürlich würde ich euch regelmäßig sehen. Sie wollte meine Pflegemutter sein. Ich war so von den Socken, dass meine Teenager-Krise sofort vergessen war. Und ich war begeistert. Ein fertiger Racheplan. Ich bat um Bedenkzeit. Natürlich war sie einverstanden. Sie sagte, ich solle nach Hause gehen und wiederkommen, wenn ich es mir überlegt hätte. An dem Abend war ich wie benommen. Du hast mir angemerkt, dass etwas in der Luft lag – du hast mich beim Abendessen die ganze Zeit beobachtet –, doch du hast mich nicht darauf angesprochen. Später bist du dann in mein Zimmer gekommen, was du nur sehr selten getan hast. Du hast dich auf meine Bettkante gesetzt und etwas ganz Merkwürdiges gesagt. Es war, als wüsstest du Bescheid. Du hast gesagt: Noch drei Jahre. Nur noch drei Jahre. Und du hast mir den Arm gestreichelt. Mehr war nicht nötig. Nur die eine Berührung. Auch wenn ich in dem Alter vor jeder Art Körperkontakt zurückschrak, hat diese Berührung mir so gutgetan, dass Amanda und ihr raffinierter Plan auf der Stelle vergessen waren. Wir haben nie wieder darüber gesprochen, Amanda und ich. Sie hat

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