Ich darf nicht vergessen
schweigt einen Moment. Heute bist du wirklich topfit, sagt er. Heute führt dich keiner aufs Glatteis.
Darüber muss ich tatsächlich lächeln. Er klingt, als wäre er zehn und gerade mit Jimmy Petersen hinter dem Supermarkt beim Rauchen erwischt worden.
Warum?, frage ich. Hattest du gehofft, es würde dir gelingen?
Er beantwortet meine Frage nicht, sondern wechselt das Thema.
Hat Amanda mit dir gesprochen?
Worüber? Aha. Hast du sie etwa auch angepumpt?
Na ja, ich hatte ja gerade erst einen ansehnlichen Scheck von dir bekommen. Es wäre geschmacklos gewesen, dich so kurz danach schon wieder um Geld anzuhauen.
Und was hat sie gesagt?
Ach, sie hat es dir also nicht erzählt? Seltsam. Ich dachte, sie wäre schnurstracks damit zu dir gerannt.
Nein. Sie hat sich in solchen Dingen immer gern bedeckt gehalten. Also: Was hat sie gesagt?
Sie hat mich ausgelacht. Hat mir gesagt, ich könnte sie mal.
Klingt nach Amanda.
Es hat mich rasend gemacht. Ich hätte sie umbringen können. Mark rutscht auf seinem Stuhl herum. Tut mir leid. Das hätte ich nicht sagen sollen.
Was?
Du weiÃt schon. Er schaut mich an. Oder vielleicht auch nicht. Ist auch egal.
Eine Weile sitzen wir schweigend da. Als Mark spricht, klingt seine Stimme wieder wie die eines kleinen Jungen.
Du hast mich gar nicht gefragt, wie es mir geht, sagt er. Wie es auf der Arbeit läuft, mit meinem Liebesleben.
Ich stehe auf. Die Putzfrauen kommen näher, in ein paar Minuten werden sie uns aus diesem Zimmer verscheuchen. Ich bin froh darüber. Dieses Gespräch nervt mich.
Ich dachte, wenn du mir etwas zu sagen hättest, würdest du es tun, sage ich. Du bist kein Kind mehr. Rück endlich mit der Sprache heraus.
Mark steht auf und fängt überraschenderweise an zu lachen. Ich hätte wissen müssen, dass du nicht darauf reinfällst, sagt er. Aber einen Versuch war es wert.
Ich war noch nie empfänglich für emotionale Erpressung, sage ich. Und trotz meines kranken Gehirns habe ich nicht vor, daran etwas zu ändern.
Also gut, dann will ich mal mit der Sprache herausrücken, wie du dich ausdrückst, und dir einen kurzen Ãberblick über den Stand der Dinge geben, sagt Mark. GroÃ, dunkel, attraktiv, neunundzwanzig Jahre alt, Anwalt, kleines Problem mit Suchtmittelmissbrauch, auf der Suche nach Liebe und Geld, allerdings an den falschen Orten. Sein Ton ist spöttisch, aber er sagt das alles mit hängenden Schultern. Mir fällt auf, dass seine Kleider ihm zu weit sind, dass die Ãrmel seines Jacketts zu lang sind und dass er den Gürtel sehr eng gezogen hat, damit ihm die Hose nicht von den viel zu mageren Hüften rutscht.
Unwillkürlich strecke ich eine Hand aus, aber kurz bevor ich seine rechte Wange berühre, zuckt er zurück.
Anders gefällst du mir besser, sagt er. Es passt besser zu dir. Er zeigt auf die Putzfrauen, die in der Tür zum Arbeitszimmer stehen und darauf warten, dass wir ihnen gestatten hereinzukommen. So endet wieder ein Besuch bei meiner lieben alten Mutter, sagt er und fügt beim Hinausgehen hinzu: Und weil es auf ironische Weise so passend ist, würde ich sagen, vergessen wir einfach, dass dieses Gespräch jemals stattgefunden hat.
Aus meinem Notizheft. 15. Dezember 2008. Oben auf der Seite steht Amandas Name.
Jennifer,
heute haben wir einen Spaziergang zu unserem Lieblings-Araber gemacht, wo es diesen göttlichen Hummus gibt, und sind dann in den Park gegangen, um zu picknicken. Ja, so warm war es! Ich habe darauf bestanden, dass du Mütze und Handschuhe trugst, weil du immer noch an diesem schlimmen Husten leidest. Magdalena war gegen den kleinen Ausflug, aber wir haben uns durchgesetzt. Es war offensichtlich, dass du unbedingt rauswolltest.
Du hast immer wieder gesagt, wie schön es doch wäre, wenn James und Peter uns jetzt begleiten könnten. Anfangs war mir nicht ganz klar, wie du dir ihre Abwesenheit erklärst, aber schlieÃlich begriff ich, dass es die typische Ausrede für Männer war: Arbeit. Dass Peter schon seit über zehn Jahren pensioniert ist und James vor einem Jahr in Rente gegangen wäre, wenn er noch lebte, spielte keine Rolle.
Merkwürdig, wie gegen Ende unseres Lebens alles so schnell passiert, dass wir gar nicht mehr in der Lage sind, es zu verarbeiten. Nachdem ich in Rente gegangen war, bin ich noch drei Jahre lang jeden Morgen um sechs aufgewacht, als müsste ich mich auf den
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