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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
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er. Richtig. Er lächelt. Es ist ein angenehmes Lächeln.
    Peter! Mein lieber, lieber Freund! Ich umarme ihn. Nein, ich drücke ihn an mich. Ich kann ihn kaum loslassen.
    Wir haben uns seit Jahren nicht mehr gesehen!, sage ich. Warum warst du so lange fort?
    Ich bin erst vor anderthalb Jahren fortgegangen. Aber mir kommt es auch vor wie eine lange Zeit. Ich hatte eigentlich keinen Grund, hierherzukommen. Bis … das alles passiert ist.
    Du meinst, bis Amanda ermordet wurde?
    Er lacht kurz auf. Ja.
    Wie geht es dir?
    Nicht besonders. Nett, dass du fragst. Komisch – na ja, nicht komisch, aber naiv –, dass die Leute annehmen, bloß weil man sich getrennt hat, würde keine emotionale Verbindung mehr bestehen.
    Ich weiß. Das habe ich im Krankenhaus immer wieder erlebt. Zwischen geschiedenen Paaren spielten sich im Aufwachzimmer die rührendsten Szenen ab.
    Magdalena berührt meinen Arm. Ich zucke zusammen und ziehe ihn weg. Zeit, sich anzuziehen, sagt sie.
    Ich schaue an mir herunter und stelle fest, dass ich immer noch mein Nachthemd anhabe. Ich erröte. Natürlich, sage ich. Ich komme gleich wieder runter.
    Aber etwas passiert. Oben auf der Treppe angekommen verliere ich die Orientierung. Ich hatte etwas im Hinterkopf. Irgendeine Absicht. Jetzt ist es weg. Ich stehe in einem schummrigen Flur, das einzige Licht kommt aus offenen Türen.
    Durch die Türen sehe ich ordentlich gemachte Betten, Sonnenlicht, das durch Fenster fällt. Ich spüre eine Vene an meinem Hals pulsieren. Ich bekomme nicht genug Luft. Ich strecke die Arme aus, berühre eine Wand, betaste ein rechteckiges Stück Plastik. Ich weiß, was das ist. Der Lichtschalter. Ich drücke darauf. Königsblaue Wände. Fotos von lächelnden Menschen. Wie können so viele Leute immer so gut gelaunt sein?
    Ich drücke wieder auf den Schalter, lasse alles im Schatten versinken. Einmal draufdrücken, Licht. Noch einmal draufdrücken, Verzweiflung. Ein, aus. Das befriedigende, vertraute Klicken. Ich weiß, was das ist. Ich weiß, was da passiert. Mein Körper entspannt sich wieder, meine Atmung wird ruhiger. Ich mache so weiter, bis die Blondine kommt und mich wegführt.
    M anche Dinge bleiben hängen. Ich tue, was mein Freund Carl, ein Neurologe, mir geraten hat, und durchsuche meine Erinnerungen. Schau einfach, was hochkommt, sagt er. Lass dich davon leiten. Trainiere deine Neuronen.
    Ãœberraschende Dinge. Nicht, was ich erwartet hatte. Keine Hochzeiten, keine Beerdigungen. Keine Geburten, keine Todesfälle. Unbedeutende Augenblicke. Wie meine Katze Binky auf einem Baum saß, als ich fünf war. Wie eine meiner Unterhosen vom Wind von der Wäscheleine gerissen und in Billy Plenners Garten geweht wurde, als ich in der siebten Klasse war– etwas, das er mich nie hat vergessen lassen. Wie ich einen Fünf-Dollar-Schein auf der Rollschuhbahn fand und mir richtig reich vorkam. Wie ich im Lincoln Park mit Fiona auf dem Rasen herumgetollt bin, als sie neun war.
    Der Tag nach meinem fünfzigsten Geburtstag, nach einer Party, die James für mich gegeben hatte. Wie ich mich gefragt habe, ob es diesmal endgültig aus war.
    Es war ein fröhlicher Abend gewesen. Leute drängten sich im Wohnzimmer, standen in der Küche, saßen auf der Treppe. Tranken den hervorragenden Wein, den James ausgesucht hatte. Meine Kollegen aus dem Krankenhaus. Der liebe Carl und meine Assistentin Sarah und natürlich die beiden Orthopäden Mitch und John. Die Herzspezialisten waren stark vertreten, ebenso die Psychologen. Und meine Familie. Mark, fünfzehn, ein unglaublich hübscher Bengel. Er hatte mir den Arm um die Schultern gelegt und führte mich zu dem Tisch, auf dem das reichhaltige Büffet aufgebaut war. Umarmte mich, bevor er mir ein Glas Wein einschenkte. Kumpel. Fiona, die unter den Gästen herumwuselte und ab und zu auftauchte und mich am Arm berührte. Und James. Erregend zu wissen, dass er im Zimmer war. Hin und wieder trafen wir uns in der Menge. Jedesmal küsste er mich kurz und heftig auf den Mund. Als meinte er es ernst. Glückseligkeit.
    Aber dann der Absturz, die Höllenfahrt. Ich suchte nach James, er war verschwunden. Ich suchte ihn in der Küche, im Wohnzimmer, im Esszimmer, klopfte sogar an die Badezimmertür. Kein James.
    Plötzlich war es mir zu voll im Zimmer, zu warm. Ich riss die Haustür auf und setzte mich auf die Stufe, genoss die kühle

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