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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
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betrunken du bist, es gehört sich nicht, zum Spaß das Leben anderer Leute zu ruinieren.
    Die jüngere Frau schaltet sich ein und spricht die ältere Frau direkt an. Es ist keine Entschuldigung nötig, ich würde sie nicht annehmen. Nichts, was du sagst, wäre akzeptabel. Du hast mein Vertrauen missbraucht.
    Siehst du?, sagt die ältere Frau. Vertrauen ist wichtig. Verrat ist eine schlimme Tat.
    Die jüngere Frau überlegt. Schön und gut, sagt sie. Sie nimmt sich ein hartgekochtes Ei. Aber vor siebenhundert Jahren hätte ich stärkere Maßnahmen ergriffen.
    Ach, und welche?, fragt die ältere Frau. Das amüsiert sie.
    Ich hätte das hier bei abnehmendem Mond in deinem Garten vergraben, so wie es die Frauen im Mittelalter bei ihren Feinden gemacht haben.
    Und …?
    Dann wärst du langsam verrottet. Die jüngere Frau schweigt einen Moment. Aber deine Seele und dein Geist sind ja bereits verrottet, sagt sie. Beide Männer, der ältere und der jüngere, richten sich interessiert auf. Jetzt wird es ernst. Solche Worte kann man nicht zurücknehmen.
    Es wäre ein Angriff auf deinen Körper. Es würde von innen anfangen. Beim Herzen. Dann auf die anderen Organe übergreifen. Du würdest anfangen, von innen zu stinken. Die Verrottung würde die äußere Epidermis erreichen. Deine Haut würde sich langsam auflösen. Und die Aasfresser würden den Rest besorgen. Deine Augen. Deine Genitalien. Deine Extremitäten – deine Ohren, Zehen und Finger.
    Die ältere Frau lacht darüber. Sie wirkt geradezu entzückt. Ich vergesse immer, dass du vor deinem Medizinstudium mittelalterliche Geschichte studiert hast. Was für eine gefährliche Kombination!
    Das ist kein Scherz, sagt die jüngere Frau. Es ist eine Warnung. Du tätest gut daran, sie dir zu Herzen zu nehmen. Dann fängt sie an, ihre Picknicksachen einzusammeln, so als wäre gerade ein vernünftiges Gespräch zwischen vernünftigen Menschen beendet worden.
    Magdalena hat aufgehört zu schreiben. Das Notizheft und der Stift liegen in ihrem Schoß.
    Und die Männer? Und die Kinder? Was haben die gemacht, während diese Dinge gesagt wurden?, fragt sie.
    Sie sind das Publikum. Das nötige Publikum. Denn diese beiden Frauen sind versierte Schauspielerinnen.
    Aber die Kinder!
    Ja, die Kinder. Genau.
    Und was ist dann passiert?, fragt sie.
    Nichts. Überhaupt nichts. Die Wirkung des Weins hat nachgelassen, sie sind alle zusammen in einem Auto nach Hause gefahren, Ellbogen an Ellbogen eingezwängt. Das Mädchen war noch zu klein, um etwas mitbekommen zu haben. Der Junge hat seine Gedanken für sich behalten. Keine negativen Auswirkungen.
    Zu Hause angekommen haben sie das Auto ausgeräumt. Die Frauen haben einander und den Ehemann der anderen zum Abschied auf die Wange geküsst. Die Männer haben sich die Hände geschüttelt. Sie sind nach Hause gegangen. Und haben weitergemacht, als wäre nichts passiert.
    Ihre Ehe ist also nicht daran zerbrochen, sagt Magdalena. Es ist eine Feststellung, keine Frage.
    Peter spricht.
    Sie hatte vielleicht einen kleinen Dämpfer abgekriegt. Aber niemand ist ausgezogen. Niemand hat die Scheidung eingereicht. Das jüngere Paar gab sich weiterhin gewohnt kameradschaftlich. Falls das gespielt war, dann war es sehr gut gespielt. Niemand hat jemals den kleinsten Riss in der Beziehung gesehen.
    Und das Geld? Ich nehme an, die … Unterschlagungen … oder was auch immer da gelaufen war, wurden eingestellt?, fragt Magdalena.
    Ja. Es hat nie einen Skandal gegeben. Kein Gerichtsverfahren, keine Gefängnisstrafe. Das Paar hat danach keine teuren Reisen mehr unternommen, keine teuren Möbel, Teppiche und Kunstgegenstände mehr gekauft. Aber die beiden haben weiterhin ein scheinbar glückliches Leben geführt.
    Und die beiden Frauen?, fragt Magdalena.
    Dasselbe. Es war, als hätte es den Tag nie gegeben. Als wäre das Gruppengedächtnis daran ausgelöscht worden. Als hätte sich eine folie à quatre in Luft aufgelöst.
    Der bärtige Mann meldet sich zu Wort. Und du erinnerst dich daran, sagt er zu mir. Ausgerechnet daran. Er seufzt schwer. Wir hätten dieses Gespräch nicht führen sollen, sagt er.
    Er steht auf, um zu gehen, und etwas an der Art, wie er dasteht, das Gewicht auf dem rechten Bein, löst einen Erinnerungsfunken aus. Du bist Peter, sage ich.
    Er setzt sich wieder. Richtig, sagt

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