Ich darf nicht vergessen
deine Schreibtischschublade in dem verschlossenen Zimmer ab. Du schlieÃt deine Frau aus. Warum?
Wegen der Kinder natürlich. Ich bewahre wichtige Unterlagen in meinem Arbeitszimmer auf. Ich kann nicht riskieren, dass vertrauliche Unterlagen mit roten Wachsmalstiften bekritzelt werden.
Ach, wegen der Kinder?
Und weil jeder das mit Unterlagen macht, die er aus der Kanzlei mit nach Hause nimmt.
Aber was würde jemand finden, dem es gelänge, in dein verschlossenes Zimmer und in die verschlossene Schublade einzudringen?, fragt die ältere Frau. Was, wenn jemand dich gut genug kennen würde, um zu wissen, wo du die Schlüssel versteckst?
Er würde nichts finden, das für jemanden, der nichts mit Unternehmensfinanzen zu tun hat, von Interesse wäre, sagt der jüngere Mann.
Die ältere Frau hebt die rechte Augenbraue. Es wirkt irgendwie eingeübt, wie ein dramaturgischer Kniff, der eingesetzt wird, um andere einzuschüchtern.
Die jüngere Frau mischt sich ein. Das stimmt nicht ganz. Sie scheint sich über den wegwerfenden Ton des jüngeren Mannes zu ärgern.
Der jüngere Mann schaut sie an. Und was folgt daraus?
Und daraus folgt, sagt die jüngere Frau und wiederholt: Wissen ist Macht.
Sieht so aus, als hättest du einen Teil dieser Macht abgegeben. Und zwar an deine gute Freundin. Warum in aller Welt hast du das getan? Er wirkt zum ersten Mal verunsichert.
Ja, sieht so aus, als hätte ich das getan, sagt die jüngere Frau, ohne die andere Frau anzusehen. Und wie es scheint, dummerweise.
Und?, fragt der jüngere Mann die jüngere Frau. Was ist jetzt? Was wirst du tun? Mich anzeigen? Damit würdest du gegen deine eigenen Interessen verstoÃen.
Das stimmt, sagt die jüngere Frau. Ich habe lange mit mir gerungen und mich entschlossen, den Status quo nicht zu erschüttern. Dich nicht zur Rede zu stellen. Was ich gefunden habe, war nur ein kleines Kuriosum, das ich ab und zu aus der Tasche gezogen habe, um es zu betrachten. Wie meine liebe Freundin schon sagte, es ist ein Machtinstrument. Es hat mir Auftrieb gegeben.
Es ging immer um uns, nicht um mich, sagt der Mann. Er trinkt seinen Wein in groÃen Schlucken. Er streckt seine Hand aus und nimmt dem älteren Mann die Flasche ab, der völlig verwirrt wirkt, und füllt sein Glas erneut. Was ich genommen habe, wird niemand vermissen. Dafür habe ich gesorgt. Ich habe niemanden verletzt, keine Kinder und Waisen ausgeraubt. Nur Institutionen. Ich habe meine Prinzipien. Ich habe lediglich hier und da kleine Beträge abgezweigt. Das summierte sich. Aber keinem Menschen ist ein Schaden entstanden. Es wird nie ans Licht kommen. Und ich habe es genauso für dich getan wie für mich.
Das glaube ich dir, sagt die jüngere Frau. Ich glaube, dass du dir das einredest und es ernst meinst.
Und für die Kinder.
Auch das glaube ich dir, sagt die jüngere Frau. Sie wendet sich dem kleinen Mädchen zu, wischt ihm Sand von der Stirn, glättet sein Haar. Der Junge ist immer noch mit Eimer und Schaufel beschäftigt. Er gräbt einen Tunnel bis nach China. Die Diskussion ist beendet, soweit es die jüngere Frau betrifft. Sie möchte das Thema wechseln. Aber die ältere Frau ist noch nicht fertig. Sie steht auf.
Diese Sache betrifft nicht nur euch beide. Es ist eine Frage der Moral. Diese ⦠Aktivitäten müssen aufhören. Und zwar hier und jetzt. Schluss mit dem Manipulieren von Büchern. Kein Verbrechen ohne Opfer mehr.
Niemand bezweifelt, dass das ein Befehl ist. Und niemand bezweifelt, dass ein Verstoà dagegen schwerwiegende Folgen haben würde.
Ich halte den Film an. Komme auf die Welt zurück. Ich frage den alten Mann: Warum hat Amanda das getan? Was war ihr Beweggrund?
Peter scheint gewillt, sich auf die Wendung einzulassen, die das Gespräch genommen hat. Wer wei�, sagt er. Bei Amanda konnte man da nie sicher sein. Rache? Bosheit? Vielleicht glaubte sie, das Richtige zu tun, wollte ein schweres Verbrechen verhindern. Oder sie wollte ihren Freunden die Demütigung ersparen, erwischt und eingesperrt zu werden. Aber du hast die Geschichte noch nicht zu Ende erzählt.
Ich brauche den Film nicht mehr als Leitschnur. Der Rest ist mir wieder präsent.
Der ältere Mann, sage ich, ist erschüttert. Seine Welt ist ins Wanken geraten.
Entschuldige dich!, sagt er zu seiner Frau. Entschuldige dich für dein unerhörtes Verhalten. Es ist mir egal, wie
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