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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
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zu folgen, sagen mir, ich soll still sein. Warum soll ich still sein? Warum soll ich diese Tablette schlucken? Ich mache den Mund ganz fest zu. Versuche, meine Arme zu befreien. Einen haben sie mir auf den Rücken gedreht, den anderen nach vorne ausgestreckt. Ein Stich, ein Brennen in meiner Ellbeuge.
    Ich kämpfe, spüre jedoch, wie die Kraft meinen Körper verlässt. Ich schließe die Augen. Das Zimmer dreht sich. Ich werde auf etwas Schwebendes gedrückt, auf dem etwas Warmes, Weiches liegt.
    Sie wird eine Weile schlafen.
    Gut so. Gott, hat die Kräfte! Was hat den Anfall denn ausgelöst?
    Keine Ahnung. Ihre Tochter war zu Besuch. Normalerweise tut ihr das gut. Ganz anders, als wenn der Sohn kommt.
    Warum lassen wir uns das bieten?
    Sie hat einflussreiche Freunde. Sie war als Ärztin ein hohes Tier.
    Ich versuche, mir ihre Worte zu merken, aber sie verflüchtigen sich. Das Schnattern von Geschöpfen, die einer anderen Spezies angehören. Ich hebe meinen rechten Arm, lasse ihn wieder fallen. Tue es noch einmal. Und noch einmal. Das beruhigt. Es hypnotisiert. Ich tue es so lange, bis der Arm mir zu schwer wird. Dann versinke ich in gesegneten Schlaf.
    I ch öffne die Augen. James. Ein sehr zorniger James. Wie ungewöhnlich. In der Regel bringt er Unmut zum Ausdruck, indem er sich weigert, das Abendessen zu essen, das ich ausnahmsweise gekocht habe, oder indem er zu spät zur Geburtstagsparty eines unserer Kinder erscheint. Einmal hat er aus Wut meine Lieblingstennisschuhe, die am besten eingelaufenen, in den Garten geworfen– die, die ich immer bei meinen kompliziertesten Operationen trug. Als ich sie Wochen später fand, waren sie schlammverkrustet und voller Ohrwürmer.
    Was ist los? Was ist passiert?, frage ich ihn jetzt.
    Aber er beachtet mich nicht. Ich bin nicht diejenige, auf die er wütend ist.
    Wer hat sie reingelassen?, fragt er. Er spricht mit der anderen Frau im Zimmer. Sie trägt grüne Arbeitskleidung und ein Namensschild. Ana.
    Wir konnten es nicht wissen, sagt sie.
    Ich habe ausdrücklich Anweisung erteilt, dass niemand meine Mutter besuchen darf, außer den Leuten auf der Liste, die ich Laura gegeben habe.
    Laura überprüft nicht jeden, der die Station betritt.
    Wer dann?
    Niemand Bestimmtes. Wer auch immer gerade Dienst hat. Wir tun alles für die Sicherheit der Patienten. Alle Besucher müssen sich in eine Liste eintragen. Sie müssen sich ausweisen. Und sie können erst gehen, wenn wir sie rauslassen. Das hier ist eine geschlossene Abteilung, wie Sie wissen.
    Wer hatte an dem Tag Dienst?
    Das weiß ich nicht. Da müssen Sie Laura fragen.
    Das werde ich. Darauf können Sie sich verlassen.
    Mr McLennan? Eine große Frau mit grauem, nach hinten gekämmtem Haar ist ins Zimmer gekommen. Sie trägt einen rotbraunen Blazer, der farblich zum Teppichboden passt, und einen knielangen schwarzen Rock. Vernünftige Schuhe. So wie ich mich früher kleidete, wenn ich nicht gerade einen OP -Kittel trug.
    Hallo, Laura, sagt James.
    Wie ich höre, sind Sie über etwas empört, das Sie als Verstoß gegen die Sicherheit betrachten.
    Ja, sagt er. Allerdings.
    Bei der Frau handelte es sich um eine Polizistin, die Ermittlungen durchführt. Sie hat sich ausgewiesen. Sie hat sich eingetragen und wieder ausgetragen. Das Ganze ist vorschriftsmäßig verlaufen.
    Hat sie meiner Mutter ihre Rechte vorgelesen?
    Das kann ich Ihnen nicht sagen. Tut mir leid.
    James läuft rot an. Wir werden gleich etwas ganz Ungewöhnliches erleben: James, der die Beherrschung verliert. Das passiert ihm so gut wie nie. Selbst vor Gericht spricht er eher leise. Das ist gutes Theater. Die Leute müssen sich vorbeugen, sich anstrengen, um ihn zu verstehen. Ich habe noch nie Geschworene so andächtig lauschen sehen, wie wenn James ihnen liebevoll die Gründe vorbetet, derentwegen sie den Angeklagten freisprechen sollen.
    Doch ehe er explodiert, bemerkt James, dass ich wach bin. Mom, sagt er, beugt sich zu mir herunter und umarmt mich unbeholfen. Er ist merkwürdig gekleidet. Nicht wie üblich in Jeans und T-Shirt. Auch kein Anzug. Nein. Braune Baumwollhose und weißes Hemd. Schwarze Schuhe. Aber er ist so jung, dynamisch und gutaussehend wie immer.
    Was soll das, James? Ich bin’s, Jennifer. Ich freue mich so, dass du da bist!
    James’ Gesicht wird weicher. Er setzt sich auf die Bettkante und nimmt meine Hand. Und wie geht es

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