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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
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liebe dieses Viertel.
    Ja, ich weiß. Ich habe es auch geliebt, Mom.
    Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Mark auch. Wir wurden beide dort geboren. Wir haben nie etwas anderes gekannt als dieses Haus. Es ist uns furchtbar schwergefallen. Wir haben letzte Nacht in Schlafsäcken dort übernachtet. Wir haben die ganze Nacht über alte Zeiten geredet. Weißt du, wie lange es her ist, dass Mark und ich so viel Zeit miteinander verbracht haben, ohne uns zu streiten? Als ich zuerst bei ihm angerufen habe, ist er nicht rangegangen. Aber ich habe es so oft versucht, bis er sich schließlich einen Ruck gegeben hat.
    Moment mal. Soll das etwa heißen, ihr habt mein Haus verkauft?
    Ja. Ja.
    Mein Haus?
    Es tut mir schrecklich leid.
    Aber meine Sachen. Meine Bücher. Meine Kunstwerke. Die Aufnahmen von meinen Operationen.
    Mom, wir haben das Haus schon vor Monaten leergeräumt. Du hast die Kisten selbst gepackt. Du hast entschieden, was du mitnehmen wolltest und was nicht.
    Aber was ist, wenn ich entlassen werde?
    Das hier ist jetzt dein Zuhause.
    Das ist ein Zimmer, sage ich. Ich bin wütend.
    Ich zeige auf die vier Wände. Zeige auf das Bad, das ein Edelstahlwaschbecken hat und keine Badewanne, nur eine Dusche. Auf die Fenster, durch die man auf einen Parkplatz blickt, wenn die Rollläden hochgezogen sind.
    Ja, aber schau doch mal. Alle deine Sachen sind hier. Deine Statue der Heiligen Rita. Dein Renoir. Dein Calder. Und deine Lieblingsikone, die Theotokos mit den drei Händen.
    Ich hatte noch mehr Kunstwerke. Viel mehr. Wo sind die alle?
    Sicher aufbewahrt.
    Und meine Möbel?
    Ich habe mir den kleinen Eichensekretär genommen, und Mark das Stickley-Sofa und den Schaukelstuhl. Der Rest wurde verkauft.
    Ich stehe vom Bett auf. Meine Hände sind zu Fäusten geballt.
    Es fällt mir schwer, das zu verarbeiten, sage ich.
    Ja, Mom. Es tut mir leid. Eigentlich wollte ich es dir gar nicht erzählen.
    Warum hast du es dann getan?
    Weil es mir das Herz bricht. Weil du es sowieso wieder vergessen wirst. Weil ich es niemand anderem erzählen kann.
    Mir kannst du ja die Ohren vollheulen, sage ich. Ich ziehe mir das Nachthemd über den Kopf. Setze mich aufs Bett, nackt bis auf die Unterhose. Es ist mir egal.
    Mom, bitte, tu das nicht. Zieh dich an. Sie öffnet eine Kommodenschublade, zieht Kleider heraus, gibt mir einen BH , ein dunkelblaues T-Shirt, eine Jeans.
    Was soll ich nicht tun? Ich lasse die Kleider auf den Boden fallen, halte mir die Augen zu, versuche, die aufsteigende Wut zu unterdrücken. Nein. Nicht gegen meine Tochter. Ganz ruhig.
    Bitte nicht weinen. Wir haben lang und breit darüber gesprochen. Du wusstest, dass wir es würden tun müssen. Es ging nicht anders. Bitte. Es bringt mich um, dich weinen zu sehen. Siehst du, ich weine auch schon. Sie hebt die Sachen auf, legt sie mir auf den Schoß. Hier. Bitte. Zieh dich an. Bitte, wein doch nicht.
    Ich nehme die Hände vom Gesicht und zeige ihr meine trockenen Augen. Ich weine nicht. Wegen so etwas weint man nicht. Man wird wütend. Man schreitet zur Tat.
    Fiona fährt sich mit den Fingern durchs Haar, reibt sich die Augen. Du bist mir ein Rätsel, Mom. Du brichst nie zusammen. Nicht wegen dieser Geschichte hier. Nicht, als Dad gestorben ist. Nicht mal, als Grandma gestorben ist.
    Das stimmt nicht, sage ich.
    Was stimmt nicht? Das mit Dad oder das mit Grandma?
    Was zwischen deinem Vater und mir war, war unsere Privatsache. Ich habe auf meine Weise um ihn getrauert.
    Und was war mit Grandma? Ich war erst neun, aber ich erinnere mich noch, wie du aus Philadelphia zurückgekommen bist. Es war kurz vor dem Abendessen. Ich saß gerade am Küchentisch und machte Hausaufgaben.
    Weißt du was, ich glaube, ich erinnere mich tatsächlich daran.
    Ja. Du bist reingekommen, hast dich umgezogen, dich an den Tisch gesetzt und eine Riesenportion gegessen. Brathähnchen mit Kartoffelpüree. Amanda hatte gekocht, und sie und Peter haben mit uns gegessen. Dad war unterwegs auf Geschäftsreise. Mark war beim Footballtraining. Und wir haben am Tisch gesessen und über Banalitäten geredet. Deine letzten Operationen. Amandas Schulschwänzer. Meine Mathenoten. Dabei war deine Mutter gerade gestorben.
    Woran ich nichts ändern konnte.
    Aber sie war doch deine Mutter. Deine Mutter! Sollte man von einer Tochter nicht wenigstens ein bisschen Trauer erwarten?
    Natürlich. Es sei denn, sie ist ein Monster.
    Aber du

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