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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
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dir?
    Gut. Sehr gut. Du hast mir gefehlt. Wie müde du aussiehst. Die beanspruchen dich zu viel. Wie war’s in New York?
    New York war großartig, sagt er. Ich hab getanzt, bis mir die Sohlen qualmten, hab die Stadt unsicher gemacht. Er tätschelt meine Hand.
    Tu nicht so väterlich, sage ich. Sonst werde ich noch böse. Und hör auf, mit mir zu reden, als könnte ich nicht bis drei zählen. Was ist passiert? Das war der Fall Lewis, nicht wahr? Eine vertrackte eidliche Aussage? Ist es nicht gut gelaufen?
    Tut mir leid, Mom. Du hast vollkommen recht. Ich habe dich von oben herab behandelt. Und das erlebst du wahrscheinlich hier viel zu oft. Er dreht sich zu der grauhaarigen Frau um. Ich komme später zu Ihnen, um über die Sache zu reden, sagt er.
    In seiner Stimme liegt ein seltsamer Unterton. Auch mit seinem Gesicht stimmt irgendetwas nicht. Eine optische Täuschung. Es verblasst, seine Züge ordnen sich neu und verwandeln sich auf wundersame Weise in etwas, das nicht James ist.
    James? Warum sagst du Mom zu mir?
    Mom, ich weiß, dass Fiona alles mitspielt, und das ist in Ordnung, aber, na ja, so bin ich einfach nicht. Ich bin Mark. Du bist meine Mutter. James ist mein Vater. James ist tot.
    Mr McLennan, unterbricht ihn die grauhaarige Frau. Sie steht immer noch neben meinem Bett.
    Ich habe Ihnen doch gesagt, ich komme zu Ihnen ins Büro. Wenn ich hier fertig bin.
    James!, sage ich. Mein Ärger lässt allmählich nach. Verwandelt sich in etwas anderes, etwas, das sich beunruhigenderweise wie Angst anfühlt.
    Wenn ich Ihnen etwas empfehlen darf, Mr McLennan …
    Nein. Ich komme allein zurecht, danke.
    James!
    Schsch, Mom, es ist alles in Ordnung.
    Wie Sie meinen, sagt die grauhaarige Frau. Sie wirkt verstimmt. Wenn sie sich zu sehr aufregt, drücken Sie den roten Knopf.
    Die Tür schließt sich hinter ihr.
    Was hatte das zu bedeuten, James?
    Nicht James, Mom. Mark. Dein Sohn.
    Mark ist ein Teenager. Er hat gerade seinen Führerschein gemacht. Letzte Woche hat er, ohne zu fragen, das Auto genommen, und deswegen hat er jetzt einen Monat Stubenarrest.
    Ja, das ist tatsächlich passiert. Aber das ist schon viele Jahre her. Nicht-James lächelt. Und der Stubenarrest hat keinen Monat gedauert. Dad hat nach ein paar Tagen eingelenkt, wie immer. Ich glaube, nach drei Tagen durfte ich wieder raus. Du warst stinkwütend.
    Er war schon immer gut darin, sich mit seinem Charme aus allem herauszuwinden. Genau wie du.
    Nicht-James seufzt. Ja, genau wie ich. Wie der Vater, so der Sohn.
    James?
    Vergiss es, sagt er. Er nimmt meine Hand und drückt sie sich an die Wange.
    Diese Hände, sagt er. Dad hat immer gesagt: Unser aller Leben liegt in den Händen eurer Mutter. Hütet euch vor ihnen. Ich hab damals nicht verstanden, was er damit meinte. Und ich bin mir immer noch nicht ganz sicher. Es hatte damit zu tun, dass du der Mittelpunkt warst. Dass du die Hauptperson warst.
    Er nimmt meine Hand von seiner Wange und hält sie in seinen Händen.
    Er war sehr stolz auf dich, weißt du. Egal, was sonst passiert sein mag. Wenn du, als ich noch klein war, bis spät abends im Krankenhaus arbeiten musstest, ist er mit mir in dein Arbeitszimmer gegangen und hat mir all deine Zeugnisse und Auszeichnungen gezeigt. Das sind die Qualifikationen einer gestandenen Frau, hat er dann gesagt. Das hat mir eine Heidenangst eingejagt. Kein Wunder, dass ich nie geheiratet habe.
    Du lässt dir von niemandem etwas vormachen.
    Nein, ganz bestimmt nicht.
    Er zieht sich in den Schatten zurück. Ich kann sein Gesicht nicht mehr sehen. Aber seine Hand ist warm und kräftig. Ich halte mich daran fest.
    Tust du mir einen Gefallen?, sagt er.
    Welchen denn?
    Sprich mit mir. Erzähl mir, wie das Leben sich im Moment für dich anfühlt.
    Ach James, was ist das denn jetzt für ein Spiel?
    Ja, nennen wir es ein Spiel. Erzähl mir einfach von deinem Leben. Von einem Tag in deinem Leben. Was du gestern gemacht hast, heute, was du morgen tun wirst. Auch wenn’s langweilig ist.
    Ein albernes Spiel.
    Mach doch mit. Mir zuliebe. Du weißt doch, wie das ist. Man glaubt, jemanden zu kennen, man hält alles Mögliche für selbstverständlich, und dann lebt man sich auseinander. Also, erzähl mir einfach von dir.
    Was soll ich dir erzählen? Du weißt doch alles.
    Tu einfach so, als wüsste ich es nicht. Tu so, als wäre ich ein Fremder. Fangen wir mit dem Einfachsten an.

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