Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen
immer die gleiche Meinung haben, ist einer von ihnen überflüssig«, sinnierte schon der britische Premierminister Winston Churchill. Und von Johann Wolfgang von Goethe stammt der kluge Satz: »Das Gleiche lässt uns in Ruhe, aber der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht.« Wie wahr! Wenn überall nur noch Harmonie herrscht, gibt es keine Kreativität mehr. Wo rhetorisch nur noch gekuschelt wird, da entsteht nichts Neues, denn das erwächst erst dort, wo Reibung und Widerspruch Raum haben. Einerseits.
Andererseits fällt es keinem leicht, gegenläufige Meinungen auszuhalten. Das erfordert erstens ein gesundes Ego und zweitens Übung. Keiner hört es gerne, wenn seine Sichtweise als falsch deklariert wird – eher rechnen wir damit, dass andere sofort zustimmend nicken. Der Name dieser Selbsttäuschung: Falscher-Konsensus-Effekt.
Seinen Namen verdankt das Phänomen einem Team von Sozialpsychologen um Lee Ross von der Stanford-Universität, die es bereits 1977 in mehreren Experimenten beobachten konnten. In einer ersten Studie bekamen die Teilnehmer beispielsweise zunächst einen Text zu lesen, in dem ein Konflikt zwischen zwei Personen geschildert wurde. In dem Manuskript konnten sich die Streithähne zwischen zwei Optionen entscheiden. Die Probanden sollten nun einschätzen, welche der beiden Möglichkeiten die Personen im Text wählen würden und welche sie selbst genommen hätten. Lee Ross und seine Kollegen fanden heraus: Die überwiegende Mehrheit erwartete, dass die Protagonisten im Text genau dieselbe Option wählen würden wie sie selbst.
Im zweiten Experiment verließen Ross und Co. ihr Labor undgingen auf den Hochschulcampus. Zuvor hatten sie ein Schild gebastelt, auf dem der Werbeslogan für ein Restaurant prangte: »Eat at Joe’s«. Nun baten sie zufällig ausgewählte Studenten darum, die Werbung für das Restaurant 30 Minuten lang spazieren zu tragen. Es kam, wie die Forscher erwartet hatten: Wer sich dazu bereit erklärte, mit dem Schild über den Campus zu schlendern, ging davon aus, dass 62 Prozent der Kommilitonen dies ebenfalls tun würden. Wer ablehnte, glaubte, dass 67 Prozent der Studenten sich ebenso verhalten würden.
Harmonie ist eine Illusion. Und wir sollten uns nicht dahingehend täuschen, dass unsere Überzeugung – egal, wie gut unsere Argumente dafür sind – jedes Mal auf Gegenliebe stoßen würde. Das ist die Ausnahme! Nur allzu oft fällt wegen des Falsche-Konsensus-Effekts ein junges Liebespaar bei der ersten großen Meinungsverschiedenheit von Wolke sieben. Angestellte sind beim ersten Zwist mit den neuen Kollegen, die doch so sympathisch waren, verdutzt. Und gute Freunde wundern sich, warum ihnen der Kumpel nicht beipflichtet, obwohl man sich doch schon so lange kennt. Lassen Sie den anderen ihre Meinung, und rechnen Sie vielmehr mit Widerspruch. Wie eingangs beschrieben, bringt das durchaus kreative Impulse. Überhaupt hilft es, sich bei künftigen Auseinandersetzungen an das Bonmot des berühmten U S-Journalisten Herbert Bayard Swope zu erinnern. Der sagte einem guten Freund: »Eine Erfolgsformel kann ich dir nicht geben. Aber ich kann dir sagen, was zum Misserfolg führt – der Versuch jedem gerecht zu werden.«
DER DOMINO-EFFEKT
Wieso unser Verhalten ansteckend ist
Am 7. April 1954 machte der damalige U S-Präsident Dwight D. Eisenhower auf einer Pressekonferenz eine folgenreiche Bemerkung. Er sprach über den Kommunismus in Indochina und prägte dann eine Metapher: »Wenn Sie eine Reihe von Dominosteinen aufstellen und den ersten umstoßen, wird es nicht lange dauern, bis auch der letzte umgefallen ist.« Eisenhowers Aussage war letztlich der Grundstein zur sogenannten Domino-Theorie, einer neuen politischen Handlungsmaxime der amerikanischen Regierung. Danach würde es nicht lange dauern, bis auch die Nachbarstaaten in die Hände der Kommunisten fielen, wenn kommunistische Kräfte erst einmal ein neutrales oder von den USA unterstütztes Land erobert hätten. Wir wissen alle, wie es weiterging: Es kam der Kalte Krieg und in dessen Gefolgschaft eine Reihe von sehr eisigen militärischen Auseinandersetzungen in Asien, bei denen leider keine Dominosteine, dafür aber umso zahlreicher Menschen fielen, insbesondere in Vietnam, Kambodscha und Korea.
Solche Kettenreaktionen gibt es oft auch im Alltag – wenngleich in der Regel mit weitaus weniger tragischen Folgen. Natürlich ist die Idee, dass sich ein Prozess erst durch eine
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