Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen
jungen Jahren. Aber nicht etwa an so profanen Dingen wie dem Sozialstatus und dem Einkommen der Eltern oder an der Frage, wie pfiffig oder aufgeweckt so ein Knirps ist. Vielmehr offenbart sich die Antwort auf die Frage, ob der Spross im Erfolgslotto des Lebens den Jackpot knacken wird, an so simplen Dingen wie dem Umgang mit Süßigkeiten.
Erstmals wurden U S-Wissenschaftler auf diesen Zusammenhang in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts aufmerksam. Damals besuchten sie eine Vorschule mit Vierjährigen, denen sie ein verlockendes Angebot machten: Sie gaben jedem ein Marshmallow, eine beliebte Nascherei aus weißem Zuckerschaum. Das konnten die Kinder sofort essen oder – so das Angebot – warten, bis der Versuchsleiter wiederkommen würde, dann sollten sie zur Belohnung ein zweites Marshmallow erhalten. Einige Kinder konnten der Versuchung nicht widerstehen und griffen sofort zu, andere warteten artig unter Aufbietung aller physischen und psychischen Kräfte, rochen an dem Zuckerschaum, spielten damit, pulten ein bisschen darin herum, vermieden es aber, herzhaft hineinzubeißen – und bekamen am Ende den doppelten Lohn.
Nun war das Experiment damit aber noch lange nicht vorbei: Rund 14 Jahre später wurden dieselben Schüler erneut unter die Lupe genommen. Und siehe da, es hatte sich einiges entwickelt: Die Geduldigen waren zu selbstbewussten, empathischen Persönlichkeiten gereift, konnten mit Rückschlägen gut umgehen und waren in der Lage, eine Belohnung aufzuschieben, wenn es sie dafür ihren Zielen näherbrachte. Die Sofortesser hingegen waren emotional instabiler, wechselhaft, weniger entschlossen und hatten in der Schule sogar schlechtere Noten – und das völligunabhängig von ihrer Intelligenz. Offenbar ist die Fähigkeit zum Gratifikationsaufschub, wie der Belohnungsverzicht in der Fachsprache auch genannt wird, nicht nur ein Indiz für Willensstärke, es scheint auch eine veritable Erfolgseigenschaft zu sein.
Der sogenannte Marshmallow-Effekt gehört inzwischen zu den Klassikern in der Sozialpsychologie, der Versuch wurde viele Male wiederholt und immer wieder bestätigt. Unter anderem auch von dem ehemaligen Harvard-Professor Daniel Goleman, der Mitte der Neunzigerjahre einen Bestseller über »Emotionale Intelligenz« schrieb. Seine These: Ein hoher Intelligenzquotient ist keinesfalls ein Garant für Erfolg und Lebensglück. Allenfalls sei er zu 20 Prozent daran beteiligt. Deutlich mehr Einfluss aufdas Lebensglück habe dagegen, wenn einer klug mit seinen Gefühlen und Begierden umgehen kann. Und es ist ja auch so: Wer in seiner Eitelkeit gekränkt ist, vor Wut kocht oder vor Begierde glüht, dem fehlen nicht nur die Worte, sondern meist auch ein paar klare Gedanken.
EIGENSCHAFTEN, DIE STARKE CHARAKTERE AUS-ZEICHNEN:
Selbstkontrolle. Sie sind alles andere als impulsiv, sondern vielmehr in der Lage, auf entsprechende Reize besonnen zu reagieren.
Optimismus. Sie glauben an ihre Stärken. Statt in die Opferrolle zu schlüpfen und zu jammern, werden sie aktiv. Dank ihres Selbstvertrauens sind sie überzeugt, Lösungen zu finden, wodurch ihr Mut weiter wächst.
Kontaktfreude. Sie reden. Schwierigkeiten versuchen sie nicht im Alleingang zu lösen, sondern gemeinsam. Zudem sind sie in der Lage, eingefahrene Denkpfade zu verlassen. Weil sie die Ursachen eines negativen Erlebnisses genau identifizieren, können sie auch leichter alternative Lösungen erkennen.
Realismus. Sie denken langfristig und entwickeln realistische Ziele. So können sie von temporären Rückschlägen oder Wendepunkten im Leben nicht aus dem Gleichgewicht geworfen werden. Weil sie sich gedanklich auf das Danach vorbereiten, meistern sie diese Herausforderungen souveräner und schneller.
Wer dagegen die seelische Kraft aufbringt, sich von Stress, Krisen und Schicksalsschlägen nicht charakterlich verbiegen zu lassen, sondern das Beste daraus zu machen, daraus zu lernen und so über sich selbst hinauszuwachsen, der gewinnt nicht nur enorme innere Stärke – er weiß danach auch besser mit dem Aufbrausen und den Sehnsüchten anderer umzugehen. Oder eben mit einem Teller voller Naschzeug.
DER H AWTHORNE-EFFEKT
Warum wir mehr können, als wir denken
Im Jahr 1924 roch Arbeit noch nach Qualm, Schweiß und Schwefel. Es war die Zeit der industriellen Revolution. Produkte wurden nicht mehr an Werkbänken, sondern zunehmend an Fließbändern hergestellt, und dank des Taylorismus wurden diese Arbeitsschritte
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