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Ich - der Augenzeuge

Ich - der Augenzeuge

Titel: Ich - der Augenzeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Weiß
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die schwergewichtige Waffe aus der Hand und legte sie wieder unter das Kopfpolster. Dort befand sich noch etwas Kühles, Hartes, Glattes: ein winziger mit Silber eingelegter Revolver. Als ob die automatische Pistole nicht genügt hätte. Ich half ihm beim Anziehen und überließ ihn dann sich selbst, da er es heute unbedingt so wollte. Er lehnte es ab, sich von mir in die Klinik begleiten zu lassen. Wir sahen uns erst abends. Ich hatte angenommen, er würde sich eine andere Unterkunft gesucht haben, er wollte mich aber nicht verlassen – aus Angst vor Verfolgern, dachte ich, denn in seinem Gesicht war das Scheue geblieben. Auch meine Frau zeigte viel Unruhe, ich wußte, es war wegen der Kinder.
    Wir setzten uns um den Tisch, und sie begannen, sich über Geldfragen zu unterhalten. Es fielen Namen, die ich zum erstenmal hörte, vielleicht Zwischenpersonen, mit Hilfe derer meine Frau Nachricht über die Kinder erhalten hatte, ich weiß es nicht. Im Grunde war dies unsinnig, denn es war einer Emigrantin nicht verboten, mit ihren Kindern einen Briefwechsel zu unterhalten. Möglicherweise fürchtete sie aber doch, es könne ihnen schaden, wenn sie von hier Briefe erhielten. Helmut lächelte trübe, plötzlich wandte er sich an mich, als erblicke er mich nun erst, gab mir die Hand und fragte mit seinem alten jungenhaften Lächeln, ob wir nicht an den Alten in Rom einen Bettelbrief um Geld schreiben wollten. Ich wußte, er hatte gestern noch ein paar hundert Franc gehabt. Was konnte er inzwischen ausgegeben haben? Aber er ließ sich auf keinerlei Erklärungen ein, sein Gesicht war wieder starr und abweisend geworden und erhellte sich auch dann nicht, als ich mit ihm und meiner Frau zusammen einen langen Brief an seinen Vater aufsetzte. Ich war für Kürze. Das hatte auf den Alten immer am besten gewirkt. Helmut aber brachte süßliche, im Grunde kalte Phrasen an (er schrieb, wie A. H. sprach), und meine Frau war auf seiner Seite. Die Antwort kam erst spät, nach ein paar Wochen. Der Alte lehnte ab, Geld zu schicken, seinen Sohn wolle er im Notfall, weil Katinka sich für ihn verwendet habe, aufnehmen. Warum stellte er sich auch jetzt als ihren Sklaven hin? Tat es ihm wohl?) Von mir war nur zum Schluß die Rede, ein Mann wie ich brauche ihn nicht, ich würde mich durchschlagen wie immer, und er werde einmal hierherkommen, um mich vor seinem Tode noch einmal zu sehen, also jedenfalls vor Anbruch des Winters.
    Mir taten seine Worte nicht gut, ich behielt aber alles für mich, und wenn Helmut und Viktoria über die Knickrigkeit des Alten loszogen, der sein Geld doch nicht in die Grube mitnehmen könne, war ich still. Ich habe den Vater in ihm gesehen. Wenn er an den Tod dachte, wußte er warum. Der Gedanke, ihn zu verlieren, ging mir näher als die Angst, mein Vater könne eines Tages sterben. Es ist vielleicht unmenschlich, wenn ich so gegen mein Blut empfinde, aber ich hätte tausendmal lieber ihn hier gehabt als meine Kinder, welche nun meine Frau in Begleitung meines Vaters und Heidis herkommen lassen wollte. Das einzige Gute daran war, daß mich Helmut von seiner dauernden Anwesenheit befreite. Er suchte sich ein anderes Zimmer, und ich hatte es nicht mehr nötig, mein Zimmer zu verlassen und mich auf der Straße herumzutreiben, wenn er geheimnisvolle Besuche entweder sehr martialischer oder sehr delikater Herren empfing.
    Er behielt seine Geheimnisse für sich, ich die meinen. Eines Tages kam er auf etwas zu sprechen, worüber schon früher Andeutungen gefallen waren. Daß er meine Rettung mit einer Art Ungnade bezahlt habe. Zwar habe er jenen Teil meiner Aufzeichnungen, die ich im Safe aufbewahrt hätte, bis zum letzten Blatt der Geheimen Staatspolizei abgeliefert, die sich mit dem Führer in Verbindung gesetzt hätte. Aber auch sie sei nicht in Gnade empfangen worden. Der wichtigste Teil sollte fehlen, nämlich jener, der sich auf seine Beziehungen zu Frauen bezog. Nun habe ich tatsächlich in dem langen Gespräch in P. manches in Erfahrung gebracht, was der Welt bis heute verborgen geblieben ist. Ich habe aber schon damals im Jahre 1918 kein Wort aufgeschrieben.
    Ich weiß alles noch. Es ist ein zu wichtiger Fall. Aber man wird in diesen Blättern vergebens danach suchen. Auch dieses Geheimnis habe ich mit Runen, die niemand außer mir lesen kann, aufgezeichnet. Das konnte der große Mann nicht glauben, und nun bereute er, daß er mich lebend aus seinen Fängen gleiten ließ, glaube ich. Es kann aber auch sein, daß er

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