Ich. Die Autobiographie
»Bräustüberl«, Liebe in St. Moritz
Nur kurz arbeitete ich nach dem Hotelstudium bei meinen Eltern. Viel zu lang für mich. Ich hatte einfach die Nase voll vom »Bräustüberl«. Von der Bierausschenkerei und den besoffenen Leuten. Von wegen »Proletarier, vereinigt euch«, in der Masse erzeugen sie den Mief der Mittelmäßigkeit. Und dazu gehörte ich nicht. Ein Leben mit diesem Volk? Ohne mich! Lange genug war ich der brave, folgsame Sohn eines braven, fleißigen, geradlinigen Vaters gewesen. Mein Geschenk an ihn war das Hoteldiplom, das mir nur noch Mittel zum Zweck schien. Für den Fall, dass mir mal Reisegeld fehlen sollte, die Schecks meiner Mutter nicht ausreichten. Ciao, Vater. Ciao, Salzburg. Ciao, Mutter.
Meine Mutter wusste es immer: Ich bin ein Ufo, komme von einem anderen Stern. Ich lande und fliege ab nach meinem eigenen Zeitplan. Die Atmosphäre in ihrem »Bräustüberl« gab mir endgültig den Rest. In der Dunkelheit einer Nacht nahm ich das Bargeld meiner Mutter. Es lag versteckt in der Handtasche unter den Seidenstrümpfen im Kleiderschrank. Sie wusste, dass ich es wusste. Eine stille Übereinkunft, über die wir keine Worte verloren hatten. Wir sind Seelenverwandte.
Die Nacht schluckte meine Schritte, als ich mit meinen gepackten Koffern, zentnerschwer wegen meiner geliebten Bücher, zum Bahnhof ging, um in den nächsten Zug Richtung Schweiz zu steigen. Er fuhr nach Bern. Gleich nach der Ankunft ging ich zum Arbeitsamt. Den ersten freien Job, Kellner im »Mövenpick«, nahm ich an. Da ich mit meinen Freunden von der Hotelfachschule ständig in Kontakt war, eine wirklich eingeschworene Lustclique, verließ ich Bern schon einen Monat später, um in Davos in einem First-class-Hotel zu arbeiten. Durch die Freunde gab es auch Angebote aus Genf und St. Moritz.
Über Renata, eine Freundin aus Salzburg, bekam ich einen Job an der Hotelbar. Das kleine Mixlexikon kannte ich aus der Hotelfachschule auswendig. Wir wohnten in der Personaletage des Hotels. In der knappen Freizeit – sie arbeitete in der Reservierung tagsüber, ich die halbe Nacht – hatten wir eine Affäre. Ich war für sie der erste Mann, sie für mich meine erste Erfahrung. Es war grauenhaft. Wir zwei Jungfrauen hatten von Tuten und Blasen keine Ahnung. Es klappte überhaupt nichts. Wie zwei Blinde tasteten wir verlegen am anderen herum. Wir ahnten, wo was wie hingehörte. Und das versuchten wir unter Dach und Fach zu bringen. Mit dem Ergebnis, dass uns die Lust auf das nächste Mal gründlich vergangen war. Was wir natürlich niemals gegenseitig zugegeben hätten.
Um es kurz zu machen, nach dem sogenannten Vollzug des Aktes, so heißt es wohl im Juristendeutsch, waren wir beide immer noch Jungfrauen. Reiner Premierenstress! Ich hatte sie nicht vernascht, sondern nur angeknabbert. Aber das wussten wir nicht. Wir zählten uns jetzt zu den Eingeweihten. Aus Angst vor einer Schwangerschaft suchte Renata schon am nächsten Tag einen Gynäkologen auf. Der bot ihr seine fachmännische Aufklärung an. Wir hatten es nicht geschafft. Während der Suchaktion schmerzte mein Schwanz höllisch. Ihr die Scheide. Tja, Scheiden tut weh.
Wir waren desillusioniert wie nach einem Kriegseinsatz. Dass Liebe machen eine Himmelsleiter sein kann, erlebten wir erst nach einigen weiteren Anläufen. Aber im Himmel landete ich nicht mit ihr. Für mich war es eine reine Bumsaffäre. Unsere Übungen blieben laienhaft in der klassischen Missionarsstellung. Für die Verhütung war sie zuständig. Kinder wollte ich wirklich nicht. Auch während meiner Karriere schob ich den Gedanken an Miniausgaben von mir weit weg. Nicht, dass ich die lieben Kleinen nicht mag. Die meiner Freunde finde ich ganz reizend. Aber Elternschaft bedeutet viel Zeit und Hingabe. Man muss miteinander reden, hinhören können. Vorbild sein. Einer solch schwierigen Aufgabe fühle ich mich bis heute nicht gewachsen. Vielleicht bin ich auch nur ein Narziss, dem das Fehlen einer biederen Familienidylle weniger ausmacht als die Unmöglichkeit, sich nicht selbst heiraten zu können, um sich in seinen Kindern zu spiegeln. Ich weiß es nicht. Man wird sehen.
Der Sohn einer sehr berühmten Freundin – den Namen muss ich hier unerwähnt lassen – sieht mir verblüffend ähnlich. Wir haben nie darüber gesprochen, doch manchmal blinzelt sie mir verschwörerisch zu. Eine Vaterschaft ist durchaus möglich, obwohl mein milliardenfaches Sperma sonst wohl all die Jahre elendig verendet ist. Wir
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