Ich. Die Autobiographie
vonJames Joyce, George Bernard Shaw, William Shakespeare. Ich musste Texte der Klassiker auswendig lernen und mit ihr durcharbeiten, um mich für die Aufnahmeprüfung fit zu machen.
Ich hatte wahnsinniges Lampenfieber, als ich die Impressionen auf einer spanischen Bahnstation aus Hemingways »Hills like White Elephants« vorspielte. Einsam auf der riesigen Theaterbühne. Vor mir meine Scharfrichter. Im zweiten Teil wurde meine Reaktion auf einen Tunnel, der voll mit Dreck war und durch den ich mich wühlen musste, auf die Probe gestellt. Ekelhaft! Dann musste ein Text, den ich erst kurz vor der Prüfung in die Hand bekommen hatte, auswendig rezitiert werden. Danach folgte ein Gespräch über meine Interessen und Vorstellungen. Ob ich schon in der Schule in Laienspielgruppen gearbeitet hätte, wie viel Tanzunterricht ich bereits absolviert hätte und all dieser Shit …
Zwei Tage dauerte der ganze Stress. Natürlich konnte ich außer zu Walzer und Cha-Cha-Cha kein Tanzbein schwingen, nicht fechten oder reiten. Nach meinen Liebes- und Skilaufkünsten fragten sie natürlich nicht. Ich fiel mit Pauken und Trompeten durch. So what. Mein Englisch war damals noch unter aller Sau. Aber das motivierte mich nur noch mehr, es durch Partygespräche und Small talk mit meiner Clique zu verbessern.
David Bailey und ich waren sehr eng miteinander. In seinem großen Haus war ein Kommen und Gehen. Cat Stevens ließ sich blicken, Jean Shrimpton, die berühmte »Shrimp« (»Die Krabbe«). Mit ihr war David lange liiert, später heiratete er Frankreichs Weltstar Catherine Deneuve. Mit der »Shrimp« kam ein völlig neues Frauenbild in Mode. Lange, schmale Körper in lässigen Taillenhosen mit Schlag. Große verträumte Schlafzimmeraugen in einem puppenhaften Gesicht mit vollen Kusslippen. Ruhige, etwas gelangweilte Bewegungen. Unwahrscheinlich sexy. Weltweit passte sich die Jugend diesem Bild an, ahmte die leichten Outfits der Krabbe und ihr Schreiten wie das einer Tigerin nach.
Mir imponierte Davids Gespür für die richtigen Trends. Er blieb nie stehen, setzte ständig neue Maßstäbe in der modischen Society. Die aufregendsten Mädchen aus aller Welt kamen bei ihm vorbei, bettelten um Fotos und mehr. Er war ein wilder Kerl und Frauenliebhaber. Seine Affären dauerten manchmal nicht länger als die Blütezeit einer geschnittenen Rose. Nach der Deneuve liierte er sich mit dem amerikanischen Supermodel Penelope Tree.
In den Räumen seines Hauses saß man einfach so herum, als hätten wir alle Zeit der Welt. Wir lagen auf diesen großen Kissen, woraus man sich nach der Raucherei nicht mehr erheben wollte. Wir rauchten Hasch, für mich das erste Mal, und auch öffentlich Joints. Wir amüsierten uns über den neuesten Klatsch und planten einfach die nächsten Happenings.
Mick Jagger, Bob Dylan und Twiggy begegnete ich auch in David Baileys Haus. Leise Stimmen lasen die Hippie-Lyrik von Thomas Dylan vor. Mit dabei war auch Geraldine Chaplin. Der damals noch unbekannte Rod Stewart kam rein. Er spielte in Rock-Cafés, lud mich dazu ein. Wir trugen Ketten aus Glasperlen, Blumenwesten, Blumen im Haar, lange Haare, wir waren die Blumenkinder der sechziger Jahre. Pure Lebensfreude. Wenn es möglich gewesen wäre, hätten unsere blumigen Liebesschwüre den Vietnamkrieg tatsächlich stoppen können. War es natürlich nicht. Aber wir glaubten, die Welt sei eine Sommerwiese mit Glühwürmchen in der Nacht. Eine herrliche Zeit.
Morgens nahm ich immer noch Schauspielunterricht. Wenn ich nicht verschlief. Die Morgenstunden sind nicht mein Fall – außer bei Dreharbeiten –, im Gegenteil, die Nachtigall singt in meinen besten Zeiten, die Lerche nicht. Es sei denn, ich lege mich früh ins Bett, manchmal schaffe ich das heute, wenn meine Mutter mich besucht. Dann setze ich meine Schlafbrille auf und stehe morgens schon gegen zehn Uhr auf, um mit meiner Mutti einen Espresso zu trinken.
Viviane Ventura, meine Liebhaberin, ließ sich von ihrem Mann scheiden. Sie war erleichtert und begleitete mich auf viele der Londoner Partys. Abends kellnerte ich, danach zogen wir um die Häuser. Am liebsten privat. Partys, Partys, Partys. Wollte jemand ernsthaft diskutieren, zog die Karawane einfach weiter. Befreiung total. Für mich auch die Befreiung von sexuellen Schuldgefühlen und Komplexen. Einige Typen gefielen mir richtig gut. Die Engländer sind ja auf ihrer Insel irgendwie schwuler als wir auf dem Kontinent. Das mag an der konsequenten Trennung von
Weitere Kostenlose Bücher