Ich, die Chronik
zurückliegenden Reisen fordern offenbar ihren Tribut. Vieles ist anders geworden. Früher strengte mich nichts nachhaltig an. Aber seit der Dom mir meine Zukunft gestohlen hat .«
Obwohl sie sofort verkrampfte, trat Landru nun doch wieder auf sie zu und faßte sie an den Armen. Die Sachtheit, mit der er dabei vorging, löste Nonas Verspannung.
»Ach, Landru ...«, seufzte sie, als wäre ihr Gemütszustand damit bereits erschöpfend beschrieben.
»Wenn du meinst, fortgehen zu müssen«, sagte er, »dann geh. Wir haben immer gespürt, wann uns die Nähe des anderen zuviel wurde. Nur deshalb fühlen wir einander nach so langer Zeit überhaupt noch zugezogen. - Aber bevor du gehst, sag mir, was passiert ist. Ist es nur die Düsternis Mayabs, die dich forttreibt, oder was ist geschehen? Hat es mit ... Lilith zu tun? Mit dem, was ich hier für sie inszenierte?«
Nona senkte den Blick, als könnte sie ihm nicht dauerhaft in die Augen schauen.
»Nein. Es hat damit zu tun, daß ich nicht mehr ich selbst sein kann ...« Sie zögerte kurz, dann erzählte sie ihm, warum sie nicht hatte zur Stelle sein können, als der Palast überfallen und in Brand gesetzt worden war.
Am Ende machte Landru ein betretenes Gesicht.
»Das habe ich nicht bedacht«, gestand er ein. »Ich wußte, daß vieles in Mayab anders ist, aber daß du die Magie des Mondes vermissen könntest . damit habe ich nicht gerechnet, sonst hätte ich dir nicht aufgebürdet, hier auf mich zu warten! Glaubst du mir das?«
Sie lachte in einer Weise, als hätte es keinerlei Bedeutung, ob sie es ihm glaubte oder nicht. »Natürlich. Nur ... es hilft mir nicht. Ich bin dem, was hier geschieht, nicht gewachsen. Nicht mehr. Ich muß erst wieder mit mir selbst ins reine kommen. Das kann ich hier nicht. Das kann ich nur .«
»... bei Chiyoda?«
Sie nickte. »Du hättest dich nicht auf mich verlassen dürfen! Was hätte ich auch ausrichten können, selbst wenn ich zum fraglichen Zeitpunkt zur Stelle gewesen wäre? Nur wenn mich mein Fluch überkommt, besitze ich Kräfte, die mich wehrhaft machen - aber nicht einmal deine Kinder mit ihren besonderen Talenten waren fähig, der Gefahr zu begegnen ...«
»Erinnere mich nicht daran.«
»Es hat keinen Zweck, es zu vergessen. Gleichzeitig bin ich froh, daß du ihnen verziehen hast.«
»Wirklich? Warum?«
»Weil ich mir, seit ich hier bin, vorzustellen versuche, wie es für jedes denkende Wesen sein muß, hier eingesperrt zu sein. Vielleicht fällt es mir leichter als dir, es mir bewußt zu machen, vielleicht lasse ich es im Gegensatz zu dir auch einfach nur zu, Verständnis für sie aufzubringen .«
»Sie?«
»Von den Menschen rede ich sowieso. Aber speziell meine ich die Mayas, die einst von dir zwangsgetauft wurden.«
»Zwangsgetauft . Was für ein Ausdruck. Es kommt mir vor, als wärst du sehr viel menschlicher geworden - weicher -, seit sich der ewige Lebensquell aus dir verabschiedet hat .«
»Und wenn es so wäre?«
Kurz blitzte es in Landrus Augen auf. Dann erwiderte er ausweichend: »Komm erst einmal zu dir. Tu, was du angekündigt hast: Begib dich in die Abgeschiedenheit von Chiyodas Refugium. Und gib mir Nachricht, sobald du gefestigt genug bist.«
»Wie werde ich dich finden?«
»Wie du mich immer gefunden hast.«
Landru zog sie in seine Arme, und Nona erwiderte seinen Kuß. Danach fragte er: »Wann willst du gehen?«
»Morgen.«
»Gut. Bleib hier und ruh dich aus. Dir steht eine weitere lange Reise bevor.«
»Bevor ich gehe, habe ich noch eine Bitte.«
»Welche?«
»Das Buch, das du mitgebracht hast ... Ist es wirklich die CHRONIK, von der Ninmahs Kinder sprachen, als ich ihnen im Ararat begegnete?«
»Sie ist es.«
»Dann .« Sie stockte.
»Ja?«
»Dann könntest du für mich darin nach etwas suchen.«
Landru erriet auf Anhieb, worauf sie hinauswollte. »Der Ursprung deines Fluchs? Die Wurzeln des Werwolftums?«
»Ja!«
»Bedaure.« Er zuckte die Achseln. »Aber nur, weil ich die Schrift, in der die Chronik abgefaßt ist, nicht lesen kann. Darum brachte ich sie überhaupt nur mit hierher.«
Nona blinzelte fragend, verwirrt und enttäuscht in einem.
»Ich wollte Lilith dazu bewegen, mir daraus vorzulesen! Ich bin sicher, sie hätte es gekonnt. Nun gibt es nur noch ihn, an den ich mich wenden könnte .«
»Ihn?«
»Anum, meinen Bruder.«
»Der dir das angetan hat ...?« Nonas Blick streifte über Landrus verheerte Haut. »Und wieso vermag er die Schrift der Chronik zu lesen, du aber
Weitere Kostenlose Bücher