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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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hatte, stellte er das Malen genauso mysteriöser weise wieder ein, wie er es begonnen hatte. Wenn mein Vater Künstler sein konnte, dachte ich, kann jeder einer werden. Ich schnappte mir seine Palette und Pinsel, verzog mich auf mein Zimmer und begann, vierzehn Jahre alt, meine lange und schmachvolle blaue Periode.
    Zwei: Als sich das Malen als zu schwierig erwies, verlegte ich mich darauf, Comic-Figuren auf dünnem Durchschlagpapier abzuzeichnen und mich mit dem Gedanken zu trösten, »Mr. Natural« hätte auch von mir stammen können, wäre ich nur ein paar Jahre früher geboren worden. Das wichtigste war, einen klaren Blick zu bewahren und sich realistische Ziele zu setzen. Anders als mein Vater, der blind eine Leinwand nach der anderen füllte, hatte ich konkrete Vorstellungen vom Künstlerdasein. Wenn ich an meinem Schreibtisch hockte, mein Barett fest auf dem Kopf wie eine Eichelkappe, versenkte ich mich ganz in die Welt der Kunstbücher, die ich aus der Stadtbücherei ausgeliehen hatte. Statt der Gemälde, die mich wenig interessierten, bewunderte ich die Fotos, auf denen die Künstler zu sehen waren, wie sie mit abgewetzten Kitteln in ihren Mansarden saßen und mit zerfurchter Stirn in Richtung muskulöser Modelle im Adamskostüm blickten. Seine Tage umgeben von lauter nackten Männer zu verbringen - genau so stellte ich mir mein Leben vor. »Noch ein bisschen nach links, Jean Claude. Ich möchte unbedingt das Muskelspiel deiner Pobacken einfangen. «
    Ich stellte mir gezierte Kuratoren vor, die an meine Tür klopften und um eine weitere Ausstellung im Louvre oder im Metropolitan baten. Wir würden zungengroße Koteletts essen und dazu Weißwein trinken, um uns anschließend ins Herrenzimmer zurückzuziehen um über Geld zu reden. Der Erfolg meiner Anstrengungen stand mir klar vor Augen: die langen Seidenschals und die Titelseiten der Magazine erschienen mir sehr real. Nur von meinen Kunstwerken fehlte mir jede Vorstellung. Der Schwachpunkt meines Plans schien zu sein, dass ich keinerlei Talent besaß. Das wurde offenbar, als ich an der High School den Kunstkurs belegte. Wenn ich eine Schale mit Trauben malen sollte, reichte ich etwas ein, das aussah wie ein Haufen Steine, der über einem Weißwand-Reifen schwebte. Die Gemälde meiner Schwester hingen überall im Kunstsaal und dienten stets als Anschauungsobjekte, wenn der Lehrer uns etwas über Perspektive oder Farbe erklären wollte. Sie war in sämtlichen Ausstellungen in Raleigh und Umgebung vertreten, ohne die mit Tesa an den Rahmen geklebten Auszeichnungen für Hochleistung auch nur zu erwähnen. Hätte sie mit ihren Bildern angegeben, wäre es leichter für mich gewesen, sie zu hassen. So musste ich jeden Tag aufs Neue nicht nur mit meiner Unfähigkeit, sondern auch mit meinem grenzenlosen Neid ringen. Ich hegte nicht den Wunsch, sie zu töten, aber ich hoffte, jemand anderes würde es tun.
    Drei: Um dem unausweichlichen Vergleich mit Gretchen zu entkommen, schrieb ich mich fern von zu Hause als Kunststudent an einem College ein, das vor allem für den Studiengang Landwirtschaft und Viehzucht bekannt war. In der Nacht vor meiner ersten Akt-Stunde lag ich schlaflos und voller Sorge im Bett, durch den Anblick der nackten Modelle körperlich erregt zu werden. Die betreffende Person, hoffentlich ein strammer Viehzucht-Student, würde ihren gebräunten und muskulösen Körper einem Publikum präsentieren, das mit Ausnahme von mir nicht mehr in ihm sehen würde als ein Gebilde aus Haut und Knochen. Würde der Dozent meine vorstehenden Augen bemerken oder etwas zu den dünnen Speichelfäden sagen, die mir wie Angelschnüre aus dem Mundwinkel hingen? Dürfte ich die schwierigen Hände und Füße weglassen und mich ganz auf die Körperteile konzentrieren, die mich wirklich interessierten, oder wäre ich gezwungen, alles zu zeichnen? Meine Befürchtungen waren nicht unbegründet, nur überflüssig. Zugegeben, das Modell war muskulös und männlich gebaut, aber es war eine Frau. Die Gefahr, sie zu lange anzustarren, bestand kaum, da ich viel zu sehr damit beschäftigt war, vom Block meines Nachbarn abzumalen. Während der Dozent von Staffelei zu Staffelei ging, verfolgte ich sein Näherrücken mit wachsender Panik. Auch wenn er meine Schwester nicht kannte, hier waren genügend andere Talente, mit denen er mich vergleichen konnte.
    Frustriert vom Zeichnen, wechselte ich in die Abteilung Druckgraphik, wo ich große Eimer Tinte umstieß. Nachdem ich mich an

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