Ich & Emma
ich, dass er das bei Emma auch macht.
“Ab jetzt gibt’s kein selbst gekochtes Essen mehr für euch kleine Hündinnen …”
Emma blendet seine Stimme aus wie beim Radio, ich versuche es ebenfalls. Und so laufen wir aus dem Wald an der Godsey-Farm vorbei, an der roten Scheune vorbei und dann hinein in unseren schmutzigen Vorgarten. Mama steht mit finsterer Miene und verschränkten Armen auf der Veranda.
“Sieh mal, was ich erlegt habe, Lib!” schreit Richard viel zu laut. Emma und ich erschrecken schon wieder. “Was für’s Abendessen!”
Mama sieht uns kopfschüttelnd an, während wir die klapprigen Stufen hinaufklettern.
Richard stößt uns weiterhin mit dem Gewehr in den Rücken, also gehen wir ins Haus, obwohl ich genau das gar nicht will.
“Mama …” Ich strecke meine Arme nach ihr aus, aber sie weicht zurück, als ob ich Läuse hätte. Ich merke, wie heiße Tränen über meine Wangen laufen.
“Na, na, na”, sagt Richard in diesem Singsang, den Erwachsene benutzen, während sie einem mit dem Finger drohen. “Kein Wort will ich hören!” schreit er. “Kapiert? Halt deinen schmutzigen kleinen Mund.”
Mama verschwindet, und ein ungutes Gefühl wühlt in meinem leeren Magen. Das Gefühl, dass ich sie niemals wieder sehen werde.
“Nicht stehen bleiben! Schön reingehen”, sagt er, aber diesmal schreit er wenigstens nicht. “Dieser ganze Kram hier wartet darauf, eingepackt zu werden, seht ihr?” Jetzt schreit er doch wieder. “Und weil ich
euch
suchen musste, ist alles liegen geblieben. Jetzt werde ich die ganze Nacht diesen Scheiß machen, der schon längst erledigt wäre, wenn es
euch
nicht gäbe, kleine Miss Caroline und kleine Miss Emma oder wer auch immer zum Teufel ihr seid.
Ich kenne euch nicht mal!
Ihr seid nicht mein eigenes Fleisch und Blut. Sondern nichts als ein Haufen Scheiße. Was mich betrifft, so
existiert ihr überhaupt nicht.
Los!” Er schiebt uns mit dem Gewehr nach vorne. “Und jetzt hinten raus. Da wartet eine Überraschung.”
Wo ist Mama?
Hinter dem Haus befindet sich der Schuppen, der seit ich weiß nicht wann verrammelt ist, und die Wäscheleine, die zum ersten Mal seit Jahren leer ist, vermutlich, weil alle Kleider bereits weggepackt sind. Und genau dort, zwischen Wäscheleine und Schuppen, ragt ein Pfahl aus dem Schmutz, wie man ihn benutzen würde, um Dracula zu töten. Und daran ist eine dicke Kette befestigt.
“Rüber da und hinsetzen.” Er stößt uns ein letztes Mal, diesmal zu dem Ende der Kette. “Du Stück Scheiße.” Sein Stiefel saust schnell und hart nach vorne. Ich brauche ziemlich lange, bis ich wieder Luft bekomme. Und dann kniet er über uns, als wolle er uns häuten und ausnehmen. Stattdessen macht die Kette ein klickendes Geräusch, ich zucke zusammen, als das kalte Metall meinen Hals berührt. Ich schaue nach rechts, was nicht leicht ist mit diesem dicken Halsring. Er befestigt die gleiche Vorrichtung um Emmas Hals.
Klick.
Jetzt ist auch sie angekettet. Aber da gibt es trotzdem einen großen Unterschied. Die schwere Kette drückt meinen Oberkörper hinunter auf meine gekreuzten Beine, doch Emma, obwohl sie schmächtiger ist, sitzt aufrecht und benimmt sich, als hätte ihr jemand eine Diamantenkrone aufgesetzt, als wäre sie stolz darauf, angekettet zu werden. Weil ich so vorgebeugt sitze, steigt mir der säuerliche Geruch aus meiner Hose in die Nase. Meine Jeans ist ganz schmutzig, und ich zittere, obwohl es in der prallen Sonne brütend heiß ist.
So sitzen wir für ich weiß nicht wie lange. Ich nach vorne gebeugt, Emma aufrecht wie ein Pfeil. Gelegentlich höre ich, wie im Haus eine Tür geöffnet und geschlossen wird, ab und zu ein dumpfer Schlag wie von Kisten, die auf den Boden knallen. Die Sonne, die uns brät, bewegt sich seitwärts und verschwindet – endlich! – hinter dem Schuppen, also ist es schon ziemlich spät, soviel weiß ich. Emma und ich schweigen. Was gibt es auch zu sagen?
“Wo ist mein Mädchen?”
“Ich bin hier oben, Daddy!”
“Komm schon runter und gib deinem alten Pa einen Kuss – heute Abend wird gefeiert.”
Daddy konnte mich von jeder Treppenstufe aus auffangen – selbst von der siebten in der Mitte der Treppe. Und danach grummelte er: “Was haste diesem Kind nur zu essen gegeben, Lib? Willste sie für den Jahrmarkt mästen?” Aber dabei lachte er und umarmte mich richtig fest, ich schnupperte nach dem Teppichgeruch in seinem Hemd.
“Da haben wir ja einen richtigen Bluthund”, sagte er.
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