Ich & Emma
Topf fällt scheppernd auf die Zementstufen vor der Küche. “Nächstes Mal sorge ich mit meiner Faust für Ruhe.”
Ich beginne schon zu zittern, bevor die Küchentür zuknallt, und das hört ziemlich lange nicht auf. Am Klirren der Kette erkenne ich, dass Emma auch zittert.
Richard tauchte auf, als Mamas Tränen gerade getrocknet waren. Er kam von “irgendwoher” in die Stadt. Man sollte denken, dass das ein besonders toller Ort ist, nachdem Richard jedem, der ihn fragte, diese Antwort gab. Mama fiel ihm sofort auf, so wie die Biene von einer Blüte angelockt wird, und er ließ sie nicht mehr aus den Augen. Jeden Tag kam er vorbei, brachte Blumen, die er am Straßenrand gepflückt hatte, eine Dose mit Nägeln, ein halbvolles Glas Marmelade (er behauptete, er hätte sie zuerst probieren wollen, ob sie auch gut genug für Mama war), und einmal ein Gefäß voller Löffel, etwas woraus wir alle nicht schlau wurden. Mama nahm all seine Geschenke mit einem Lächeln an, aber ihre Augen blieben kalt und traurig. Richard wusste allerdings nicht, wie Mamas Augen aussahen, wenn sie auch lächelten. Wenn sie das Zimmer verließ, um die Blumen ins Wasser zu stellen oder die Marmelade in den Kühlschrank, fixierte Richard uns mit einem bösen Starren, das sofort verschwand, wenn Mama zurückkam.
“Deine Mama wird diesen Penner heiraten”, rief mir Mary Sellers eines Tages in der Pause zu. Ich konnte mir nicht mal eine Antwort überlegen, da schoss Emma schon an mir vorbei, zerrte sie am Haar und boxte ihr in den Magen, bis sie heulend zu Mrs. Stanley lief, die an diesem Tag die Pausenaufsicht hatte.
Es war mir nicht in den Sinn gekommen, dass Mama wieder heiraten könnte, doch nachdem Mary es einmal ausgesprochen hatte, passte plötzlich alles zusammen. Die Wäscheberge, die sich im Haus aufgehäuft hatten, wurden langsam wieder kleiner. Der Müll wurde rausgetragen. Das Geschirr so geschrubbt, dass es glänzte wie neu. Als wollte Mama beweisen, dass sie den Haushalt im Griff hatte.
“So können wir nicht weitermachen”, sagte sie eines Tages wie aus dem Nichts. “Es ist kein Geld mehr da, und ich habe keine Ausbildung, um irgendwas Anständiges zu arbeiten. Ich kann ja nicht mal rechnen. Und bei einem Schreibwettbewerb hätte ich auch keine guten Chancen, das kannst du mir glauben.”
Das stimmt – Mama liest nie. Weder allein, noch hat sie uns je abends was vorgelesen. Und als Daddy gestorben war, kündigte sie sofort die Tageszeitung.
“Wir haben keine Wahl”, sagte sie. Und das war’s dann.
Zwei Tage später heirateten sie im Rathaus, sie trug das Kleid, in dem sie Daddy beerdigt hatte.
Danach konnte ich Mary Sellers eine Woche lang nicht mehr in die Augen sehen.
“Guten Morgen, erwache und lache!” Richard schiebt mit der Schuhspitze die Blechdose weg. Vor uns im Schmutz liegt ein Haufen braunes Hundefutter, noch immer wie die Dose geformt.
Ich blinzle. Emma sieht noch schlimmer aus als ich, da bin ich sicher. Ihr Gesicht ist schmutzig, Zweige stecken in ihrem wirren Haar.
Emma blinzelt zurück und kriecht, die Kette hinter sich herziehend, zu der Dose. Dann formt sie ihre Hände zu einem Kelch, als wollte sie aus einem kristallklaren Bach trinken, nimmt von dem Brei und isst.
Ich weiß nicht, ob ich hungrig genug bin, um das auch zu tun. Andererseits bin ich zu hungrig, um es nicht zu tun.
“Er muss extra für uns Hundefutter gekauft haben, nur um uns zu quälen”, sage ich mehr zu mir selbst als zu Emma, während ich all meinen Mut zusammennehme, um zu essen. Es nur zu berühren, dreht mir schon den Magen um.
“Was glaubst du, wo Mama ist?” Doch Emma ist zu sehr mit dem Essen beschäftigt, um zu antworten.
Kauend schaut sie mich an, dann streckt sie ganz vorsichtig ihre schmutzige, mit Hundefutter gefüllte Hand aus, damit ich daran riechen kann, und dann esse ich, mit geschlossenen Augen und ohne durch die Nase zu atmen. Ich schlucke ohne zu kauen. Es berührt kaum meine Zunge. Ich schlucke, einfach und schnappe dann nach Luft, um den Geschmack schnell loszuwerden. Sie nimmt noch eine Handvoll und füttert mich wieder. Und wieder. Nachdem ich fertig bin, leckt sie die Dose aus.
Ich muss in der Sonne eingenickt sein, denn ich schrecke hoch, als ich einen Schatten über mir spüre. Es ist Mama.
Merkwürdig, dass ihr rechtes Auge blau und geschwollen ist, denn Richard ist Rechtshänder und trifft meistens das linke. Ihre Oberlippe ist doppelt so dick wie sonst. Jetzt weiß ich also,
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