Ich & Emma
auch noch.”
Ihr Kopf hebt sich aus der betenden Position. An ihrem Ausdruck erkenne ich, dass sie mich gerade wieder vergisst, dass sie wieder in die Welt in ihrem Kopf zurückkriecht. Ich rede ganz schnell, solange noch die Möglichkeit besteht, dass sie mich hört.
“Du brauchst bloß dieses Papier zu unterschreiben, auf dem steht, dass ich getan habe, was ich tun sollte”, sage ich. Also wirklich, Emma hat es besser, sie muss als Hausaufgabe nur ein Bild von unserem Haus mit uns vieren davor malen. Und sie soll zählen, wie viele Stuhlbeine es im ganzen Haus gibt. Das ist so leicht.
Mama greift nach dem Papier des Lehrers. “Her damit.” Sie unterschreibt, und somit bin ich für heute Abend fertig.
Die Donford-Grundschule ist nur halb so groß wie unsere alte Schule, es gibt auch nur halb so viele Schüler. Seit vor vier Wochen der Unterricht begonnen hat, laufen wir jeden Morgen zu der großen Straße, biegen nach links und warten vor Mr. Wilsons Haus auf den Bus. Brownie wartet jeden Tag mit uns, bei Regen oder Sonnenschein. Dann beobachte ich durch das Fenster in der zweiten Sitzreihe wie sie abdreht, zurückwatschelt wie eine alte Lady und mit ihrem Holzbein an ihren Platz vor Mr. Wilsons Treppe humpelt, bis wir wiederkommen. Mr. Wilson sagt, sie hört den Bus und läuft uns entgegen.
“Carrie Parker? Nun pass endlich auf. Ich habe den Zettel gesehen, den du weitergegeben hast. Ich werde dich nicht blamieren, indem du ihn laut vorlesen musst, aber das nächste Mal bin ich nicht so nett”, sagt Miss Ricky.
Ich habe Folgendes geschrieben:
Orla Mae, magst du Johnny oder was? Er schaut dich die ganze Zeit an, um das rauszufinden. Kreuze ja oder nein an.
Und dann habe ich zwei Kästchen gemalt, über dem einen malte ich ein “Ja”, über dem anderen ein “Nein”. Doch jetzt muss ich bis nach der Mathestunde warten, um eine Antwort zu bekommen, weil ich es nicht riskieren will, dass Miss Ricky meine Notiz laut vorliest.
Orla Mae schaut mich an und verdreht die Augen, ich weiß aber nicht, ob das Ja oder Nein bedeutet. Ich hoffe auf ein Nein, weil ich Johnny mag, aber sie kennt ihn länger, wenn sie ihn also auch mag, dann hat sie das Vorrecht.
“So dividieren wir also mehrere Zahlen”, sagt Miss Ricky und schlägt das Mathebuch zu. “Als Hausaufgaben löst bitte die Übungen vierzehn und fünfzehn
vollständig.
Wenn nicht, ziehe ich euch das von eurer Note ab, verstanden?”
“Ja, Miss Ricky”, antworten wir.
Die Klingel ertönt, wir sind entlassen.
“Also? Magst du ihn?” frage ich Orla Mae, während ich meine Bücher nach ihrer Größe aufeinander staple – das größte nach unten, das kleinste obendrauf.
“Und wenn?”
“Das heißt also, du magst ihn. Ich
wusste
es!”
“Das habe ich nicht gesagt”, zischelt sie, damit Johnny uns nicht verstehen kann. “Ich glaube,
du
magst ihn.”
“Tu ich nicht!”
“Tust du wohl.”
“Was?” Emma rennt neben uns durch den Haupteingang nach draußen. Immer holt sie uns genau dann ein, wenn wir mitten in einem Gespräch sind.
“Nichts”, murre ich und hoffe, dass sie wieder abhaut. Jetzt, wo ich beliebt bin, ist es nicht so witzig, wenn die kleine Schwester einem dauernd hinterher rennt.
Im Bus sitzen Orla Mae und ich nebeneinander, Emma klettert immer hinter uns auf einen Sitz, damit sie alles mitbekommt, was wir tun und sagen. Sie sitzt allein, weil außer uns nur noch drei Schüler in dem ganzen Bus sind. Da gibt es noch Starlie Tilford, die ziemlich nah bei der Schule wohnt, aber nicht nah genug, um zu laufen. Und Will Lawson, dessen Vater der oberste Chef vom Holzlager ist. Und zu guter Letzt Oren Weaver, der schlecht riecht und einmal zum Direktor musste, weil er in der Pause mit einem Stuhl geworfen und beinahe Coralie Coman am Kopf getroffen hätte.
Orla Maes Daddy ist auch ein Chef im Holzlager, weil schon sein Vater ein Leben lang dort gearbeitet hat. Wie sich herausgestellt hat, hatte sie Recht, als sie sagte, Richard hätte dort eine der schlimmsten Schichten.
Richard geht jeden Abend nach dem Essen zur Arbeit. Wir achten darauf, beim Essen kein Wort zu sagen, weil man inzwischen nicht mehr weiß, welches Wort Richard noch wütender macht, als er sowieso schon ist. Mama sitzt nicht bei uns. Sie steht an der Spüle oder wischt die Küchentheke sauber oder schiebt ihm das Gemüse hin, das Emma oder ich nicht gegessen haben. Er schaufelt es in sich hinein. Und dann packt sie ihm etwas Essen für später im Holzlager
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