Ich & Emma
den Bauch, dass ich ihn loslasse. Ich knicke in der Mitte zusammen, hechle nach Luft wie ein Hund. Ich sehe, dass Emmas Hand blutet. Komisch ist, dass Emma zwar mit rechts malt, aber mit links zuschlägt. Und genau diese Hand ist ganz rot.
“Na also.” Sie drückt sich hoch und wischt sich den Schmutz von ihrem T-Shirt. “Jetzt hast du’s zurückgenommen.” Dann spaziert sie einfach davon, ohne sich um ihre verletzte Hand zu kümmern. Fred starrt ihr mit seinem einen nicht geschwollenen Auge hinterher. Ich wünschte, ich könnte die Schmerzen im Magen auch einfach ignorieren, aber es tut weh, sobald ich Luft hole.
Ich renne wie ein Krüppel, aber schließlich hole ich sie doch ein. “Das gibt Ärger.”
“Ist mir egal”, schnieft sie. “Außerdem hast du mit gemacht, also bekommst
du
Ärger.”
“Warum machst du dich für Richard stark? Wen interessiert es, was sie über ihn sagen?”
“Die haben doch nicht von
ihm
gesprochen. Sondern von
uns.”
“Bekommst trotzdem Ärger.”
Sie zuckt bloß mit den Schultern und läuft weiter. “Du auch.”
Als der Bus vor Mr. Wilsons Einfahrt hält, ist ihre eine Hand bereits doppelt so dick wie die andere.
Wir betrachten sie beide.
“Schätze, du hast nach diesem Vorfall keine Lust auf Scharfschießen”, sage ich.
“Doch. Ich schieße sowieso mit der anderen Hand …”
“Ich weiß nicht. Sagen wir ihm doch einfach, dass wir nach Hause müssen. Das macht ihm bestimmt nichts aus.” Wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Lust mehr, zu schießen.
“Bitte”, jammert sie, als wäre ich ihre Mama und nicht ihre Schwester.
Emma hüpft die letzte Stufe hinunter, streichelt Brownie mit ihrer unverletzten Hand, die andere versteckt sie hinter dem Rücken, für den Fall, dass Mr. Wilson uns entgegenkommt.
“Lass uns nach Hause gehen”, sage ich. “Er ist ja gar nicht da.”
Also laufen wir die Straße entlang, bis wir den Weg erreichen, der zur Hausnummer zweiundzwanzig führt. Emma holt einmal tief Luft, dann folgt sie mir. Vor dem Haus steht ein Pick-up, den wir noch nie zuvor gesehen haben.
“Wer ist das?”
Emma schüttelt sich seufzend das Haar aus dem Gesicht. “Das ist Mrs. Sprague.”
“Woher weißt du das?”
“Das muss sie sein.” Sie seufzt erneut.
“Sollen wir doch zu Mr. Wilson gehen? Wir können dort warten und uns ins Haus schleichen, wenn der Pick-up wieder weg ist. Komm.”
“Muss das erst hinter mich bringen.” Sie läuft auf das Haus mit dem Loch im Dach zu. “Wir treffen uns hinterher hier draußen. Dann können wir Mr. Wilson besuchen.”
“Sicher?” Ich kann nicht fassen, dass sie nach der Abreibung, die ihr bevorsteht, noch immer zum Schießen gehen will. Aber ich werde auf jeden Fall auf sie warten.
“Soso”, sagt Mama, als wir die Verandatreppe hinaufsteigen. “Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, bevor du dir deine Tracht Prügel abholst?”
Ich verstehe nicht, was Emma sagt, Mamas Worte aber kann ich glasklar hören.
“Du wirst dich jetzt
verdammt noch mal
entschuldigen, oder du bekommst zehn Extrahiebe!”
Das reicht. “Entschuldigung”, sage ich so laut ich kann. Emmas Stimme ist viel zu leise, doch es dauert nicht lange, bis Mrs. Sprague und Fred wieder in den Pick-up klettern und wegfahren.
Mama und Emma sind verschwunden. “Komm schon her”, ruft Mama mir aus dem Haus zu. “Warum musst du immer Ärger machen, sobald ich dir den Rücken zudrehe? Na?” Das Geräusch, das ein Riemen macht, der durch die Luft saust, ist wohl das Schlimmste auf der Welt. Ich schätze, heute Nacht werden wir auf dem Bauch schlafen müssen. Nach mir ist Emma dran, es dauert eine Weile, aber dann kommt sie aus dem Haus, sie geht ganz vorsichtig. Und dann laufen wir die Straße entlang zu Mr. Wilson.
“Da scheint mit euch Kindern heutzutage was nich’ in Ordnung zu sein, wenn ihr nie gelernt habt, zu schießen”, sagt er.
“Ich bin erst acht”, antworte ich. “Meine Schwester ist sechs. Wir sind noch nicht erwachsen.”
Er schüttelt nur den Kopf und läuft hinüber zu dem Zaun, auf den er nebeneinander drei Dosen stellt. Emma sieht uns aus einiger Entfernung zu, ihr Hintern ist wahrscheinlich ganz wund. Meiner auch, aber ich bin älter. Ich habe damit schon viel mehr Erfahrung.
“Also.” Er spuckt aus und nimmt das Gewehr hoch. “Ich zeig dir jetzt, wovon ich rede. Und dann wirst du das Gewehr mal genauer kennen lernen.”
Er legt an und
Peng!
Er feuert den ersten Schuss ab, ohne mich
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