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Ich finde dich

Ich finde dich

Titel: Ich finde dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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Campus bezeichnen konnte, diese geliebte Behausung gekauft und sich damit zum neuen Herrn des Anwesens gemacht hatte.
    Mein Handy vibrierte in meiner Tasche. Eine SMS von Shanta:
    JUDIE’S. 13 UHR.
    Welch Wortgewandtheit – aber ich wusste, was sie meinte. Sie wollte, dass wir uns um 13 Uhr in Judie’s Restaurant an der Main Avenue trafen. Gut. Ich steckte das Handy ein und stieg die Stufen zur Veranda hinauf.
    Eban stand auf und begrüßte mich mit einem herablassenden Lächeln. »Jacob. Schön, dich zu sehen.«
    Sein Händedruck fühlte sich schmierig an. Die Fingernägel waren manikürt. Er hatte etwas von einem alternden Playboy, manche Frauen fanden das attraktiv, vor allem seine langen, widerspenstigen Haare und die großen, grünen Augen. Seine Haut war wächsern und sah aus, als würde sein Gesicht schmelzen oder als befände er sich in der Erholungsphase, nachdem seine Haut kosmetisch behandelt worden war. Ich nahm an, dass es um Botox ging. Er trug eine zu enge Hose und ein Anzughemd, bei dem er einen Knopf mehr hätte schließen sollen. Sein Eau de Cologne roch, als hätte man zu viele europäische Geschäftsleute morgens in einen Fahrstuhl gesperrt.
    »Du hast doch nichts dagegen, dass wir uns hier auf die Veranda setzen?«, sagte er. »Es ist gerade so schön hier draußen.«
    Ich stimmte bereitwillig zu. Ich wollte das Haus nicht betreten und mir ansehen müssen, was er damit angestellt hatte. Ich wusste, dass er vor seinem Einzug größere Umbauten hatte vornehmen lassen. Ich war sicher, dass das dunkle Holz, der Cognac und das Zigarren-Feeling verschwunden und durch helles Holz und Sofas in Farben wie »Eierschale« oder »Elfenbein« ersetzt worden waren. Außerdem wurden bei Treffen nur noch Weißwein und Sprite serviert, weil die keine Flecken auf den Polstern hinterließen.
    Wie aufs Stichwort bot er mir ein Glas Weißwein an. Ich lehnte höflich ab. Er hatte sein Glas in der Hand. Es war noch nicht einmal Mittag. Wir setzten uns in die Weidensessel mit den dicken Kissen.
    »Also, was kann ich für dich tun, Jacob?«, fragte er.
    In meinem zweiten Studienjahr hatte ich bei ihm ein Seminar über das Theater in der Mitte des 20. Jahrhunderts besucht. Er war kein schlechter Lehrer. Er war sowohl effektiv als auch affektiert, einer der Professoren, die sich vor allem gerne selbst reden hörten, und so waren seine Seminare nur selten langweilig – das Todesurteil für jedes Seminar –, aber absolut professorenzentriert. Eine Doppelstunde lang hatte er damit verbracht, Jean Genets gesamtes Stück Die Zofen laut vorzulesen, wobei er alle Rollen übernommen und sich an seiner eigenen Aufführung berauscht hatte – besonders an den Sado-Maso-Szenen. Die Vorstellung war zweifelsohne gut gewesen, aber leider ging es auch dabei nur um ihn.
    »Ich habe ein paar Fragen zu einem Studenten«, sagte ich.
    Eban zog beide Augenbrauen hoch, als wären meine Worte gleichermaßen faszinierend wie überraschend. »Oh?«
    »Todd Sanderson.«
    »Oh?«
    Ich sah, wie er erstarrte. Er wollte nicht, dass ich es sah. Aber ich sah es. Er wandte den Blick ab und strich sich übers Kinn.
    »Du erinnerst dich an ihn«, sagte ich.
    Eban Trainor strich sich noch etwas übers Kinn. »Der Name kommt mir bekannt vor, aber …« Nachdem er sich noch ein paar Mal übers Kinn gestrichen hatte, zuckte er hilflos die Achseln. »Tut mir leid. Das waren so viele Studenten in all den Jahren.«
    Warum glaubte ich ihm nicht?
    »Er war nicht bei dir im Seminar«, sagte ich.
    »Oh?«
    Wieder dieses »Oh«.
    »Er musste vor dem Disziplinarausschuss erscheinen, als du die Leitung innehattest. Das muss etwa zwanzig Jahre her sein.«
    »Und du erwartest von mir, dass ich mich daran noch erinnere?«
    »Du hast ihm dabei geholfen, dass er nach einer körperlichen Auseinandersetzung auf dem College bleiben durfte. Hier, ich zeig’s dir.« Ich zog meinen Laptop aus der Tasche, klappte ihn auf und rief die handgeschriebene Entscheidung aus der Studentenakte auf. Ich drehte den Laptop zu ihm um. Eban näherte sich nur vorsichtig, als fürchtete er, der Rechner könnte explodieren. Er setzte seine Lesebrille auf und musterte den Brief.
    »Warte. Woher hast du das?«
    »Es ist wichtig, Eban.«
    »Das ist aus einer vertraulichen Studentenakte.« Ein kurzes Lächeln umspielte seine Lippen. »Ist es nicht ein Regelverstoß, die Akte zu lesen, Jacob? Meinst du nicht, dass du damit womöglich eine Grenze überschreitest?«
    Damit wären wir also beim Thema.

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