Ich folge deinem Schatten
zurück«, hatte er ihr gesagt.
Das war am Montag gewesen, am späten Nachmittag. Ich bin wütend geworden, erinnerte sich Glory, und habe ihm gesagt, er soll sich zum Teufel scheren. Dann wollte ich zum Parkplatz, ich hätte mir die Perücke abnehmen und den Schal umbinden sollen, damit ich nicht wie Moreland aussah. Aber aus irgendeinem Grund habe ich das dann doch nicht gemacht. Und als ich an der Kirche vorbeikam, bin ich einfach stehen geblieben. Ich weiß, es war verrückt, keine Ahnung, was mich dazu getrieben hat, zur Beichte zu gehen. Mein Gott, war ich denn von allen guten Geistern verlassen? Ich hätte mir denken können, dass er mir folgt. Woher hätte er sonst wissen können, dass ich dort war?
»Glory, kann ich reinkommen?«
Sie sah auf. Matthew stand in der Tür. Er hatte abgenommen, es war nicht zu übersehen. Nun, er hatte in letzter Zeit nicht sonderlich viel gegessen. »Klar. Komm rein, Matty.«
»Ziehen wir wieder um?«
»Ich hab dir ganz was Tolles mitzuteilen. Mommy wird in zwei Tagen kommen und dich abholen.«
»Wirklich?«, kam es aufgeregt von ihm.
»Ganz sicher. Und deshalb muss ich jetzt auf dich auch nicht mehr aufpassen. Und die bösen Menschen, die dich stehlen wollen, sind alle fort. Ist das nicht wunderbar?«
»Ich vermisse Mommy«, flüsterte Matthew.
»Ich weiß. Und ob du es glaubst oder nicht, ich werde dich auch vermissen.«
»Vielleicht kommst du uns ja mal besuchen.«
»Mal sehen.« Und plötzlich, als sie in Matthews kluge Augen blickte, kam ihr der Gedanke: In zwei Jahren, wenn er mich im Fernsehen oder in einem Kinofilm sieht, wird er sagen: »Das ist Glory, die Frau, die auf mich aufgepasst hat.«
O mein Gott, wurde ihr siedend heiß bewusst. Genau das wird er sich auch denken. Natürlich kann er es nicht zulassen, dass Matty gefunden wird. Ist es wirklich möglich, dass er …?
Ja, es war möglich. So weit kannte sie ihn mittlerweile.
Ich kann das nicht zulassen, dachte Glory. Ich muss anrufen, vielleicht kann ich mir ja die Belohnung sichern. Aber erst mache ich das, was er gesagt hat. Morgen rufe ich die Immobilienmaklerin an und sage ihr, dass ich am Sonntagmorgen ausziehe. Dann treffe ich mich wie geplant mit ihm in New York. Aber davor gehe ich zur Polizei und handle einen Deal aus.
»Glory, darf ich nach unten gehen und mir eine Limo holen?«, fragte Matthew.
»Klar, Kleiner, ich komme mit nach unten und mach dir was zu essen.«
»Ich hab keinen Hunger, Glory, und ich glaub auch nicht, dass Mommy bald kommt. Das sagst du immer.«
Matthew ging nach unten, holte sich eine Limo, brachte sie mit nach oben, legte sich aufs Bett und griff nach dem Seifenstück. Aber dann stieß er es einfach weg. Glory lügt, dachte er. Immer sagt sie, dass ich bald meine Mommy sehe. Aber Mommy will nicht mehr zu mir kommen.
65
Zehn Minuten vor vier machte sich Pater Aiden vom Kloster auf zur Unterkirche. Er ging langsam. Wenn er wie heute stundenlang an seinem Schreibtisch gesessen hatte, schmerzten ihm der Rücken und die arthritischen Knie.
Wie immer standen Menschen aufgereiht vor den beiden Versöhnungsräumen im Eingangsbereich. Er bemerkte, dass jemand der Grotte der Heiligen Jungfrau von Lourdes einen Besuch abstattete, ein anderer kniete auf einer Bank vor dem heiligen Judas. Einige saßen auf der Bank an der Wand. Um sich auszuruhen, überlegte er, oder um Mut für die Beichte zu sammeln? Man sollte dafür keinen Mut aufbringen müssen, dachte er. Dafür bedarf es einzig des Glaubens.
Als er am zurückgesetzten Schrein des heiligen Antonius vorbeikam, fiel ihm ein Mann mit dichtem dunklem Haar und einem Trenchcoat auf, der dort kniete. Kurz kam ihm der Gedanke, dass es sich dabei um den Mann handeln könnte, der sich laut Alvirah am Montag so seltsam für ihn interessiert hatte. Pater Aiden verwarf den Gedanken. Vielleicht hatte er einfach seine Zeit gebraucht, um sich seiner Sünden zu bekennen.
Um fünf vor vier heftete er seinen Namen an die Tür des Versöhnungsraums, trat ein und ließ sich auf dem Stuhl nieder. Das Gebet, das er sprach, bevor die Sünder zu ihm kamen, war immer dasselbe: »Herr, lass mich den Bedürfnissen aller gerecht werden, die zu mir kommen und Tröstung suchen.«
Um vier Uhr drückte er auf den Knopf, damit das grüne Licht anging und der Erste in der Schlange wusste, dass er nun eintreten konnte.
Es war ungewöhnlich viel los, selbst für die Fastenzeit. Knapp zwei Stunden später, nachdem nur noch wenige Wartende anwesend
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