Ich fühle was, was du nicht siehst - Mallery, S: Ich fühle was, was du nicht siehst
durch die nächstbeste Tür die Flucht anzutreten. Man sprach auf eine Weise über ihr Leben, als wüssten alle Bescheid. Sie war in dieser Stadt zu einer Art tragischer Legende geworden.
„Liz’ Leben hat eine glückliche Wendung genommen. Aber nicht jedes vernachlässigte Kind hat später Erfolg”, fuhr Dana fort. „Nicht jedes Kind hat die Fähigkeiten und die Willensstärke, etwas aus seinem Leben zu machen. Wir sind stolz auf Liz und ihren Werdegang. Aber wir müssen auch die Gelegenheit ergreifen, aus unseren damaligen Fehlern zu lernen. Damit kein Kind jemals wieder durch das soziale Netz fällt.”
Großer Applaus. Liz spürte, dass alle sie ansahen, und bemühte sich, ruhig und gelassen zu wirken. Panische Reaktionen ließen einen wenig attraktiv erscheinen.
„Nach Liz’ Verschwinden ist unserem College ein kleines Stipendium übrig geblieben”, erklärte Dana. „Es wäre ihres gewesen. Unser erster Gedanke war, das Geld einfach wieder in den allgemeinen Stipendienfonds zurückfließen zu lassen. Doch ehe wir das tun konnten, hat jemand uns ein paar Dollar in Liz’ Namen geschickt. Weitere Schecks trafen ein. Es ist so, wie mir jemand einmal gesagt hat: Fünfzig Dollar können kein Leben verändern, aber wenn jeder ein bisschen gibt, können wir die Welt verändern.” Dana lächelte Liz an. „Und so wurde das Elizabeth-Marie-Sutton-Stipendium ins Leben gerufen. Bis zum heutigen Tag sind fast dreißig Frauen in den Genuss dieses Stipendiums gekommen. Und die meisten von ihnen sind heute hier.”
Zu Liz’ Überraschung erhoben sich nun ein paar Leute im Saal. Dann noch ein paar. Schließlich waren es genau achtundzwanzig Frauen, die ihr applaudierten und sie anlächelten. Sie strahlten, als hätte Liz persönlich etwas für sie getan.
Nachdem sich alle wieder gesetzt hatten, bat Dana jene vier Frauen, die in diesem Jahr das Stipendium bekamen, ein paar Worte zu sagen. Alle erzählten von ihrem Wunsch, aufs College zu gehen, und erklärten, wie sehr sie sich über das Geld freuten. Als sich dann auch noch alle ausdrücklich bei ihr bedankten, hätte Liz am liebsten gesagt, dass sie selbst ja gar nichts getan hatte. Ihre einzige Leistung bestand darin, dass sie früher mal aus Fool’s Gold abgehauen war. Aber vielleicht war für diese Erklärung heute nicht ganz der richtige Zeitpunkt.
Nach ein paar weiteren Reden war die Veranstaltung zu Ende. Zahlreiche Leute schüttelten Liz die Hand und bedankten sich bei ihr. Obwohl sie immer noch das Bedürfnis hatte zu sagen, dass sie nicht so viel Anerkennung verdiente, war sie doch froh, dass ihr Schicksal zum Symbol für etwas Größeres geworden war.
So etwas gibt es vermutlich nur in Fool’s Gold, dachte Liz, während ihr ein Mädchen erzählte, dass ihre Mutter krank war und sie sich um ihre drei jüngeren Brüder kümmern muss. Doch am Fool’s Gold Community College hätte sie nun die Chance, eine gute Ausbildung zu bekommen. Alles dank Liz.
Es dauerte eine Weile, bis sich Liz danach durch die Menge zur Rektorin durchgekämpft hatte.
„Es ist so schön, Sie kennenzulernen”, sagte Dana herzlich. „Ich bin erst vor ein paar Jahren nach Fool’s Gold gezogen und war daher nicht dabei, als das Stipendium ins Leben gerufen wurde. Aber ich freue mich, Ihnen berichten zu können, dass sich für dieses Stipendium mehr Frauen bewerben als für alle anderen, die wir vergeben.”
„Das freut mich zu hören.” Liz zog einen Umschlag aus ihrer Handtasche und überreichte ihn Dana. „Ich möchte auch etwas spenden, aber bitte sagen sie es nicht weiter.”
„Versprochen.” Dana machte den Umschlag auf. „Du lieber Himmel”, flüsterte sie, als sie den Scheck in der Höhe von zehntausend Dollar sah.
Liz sah sich nervös um. „Das muss unter uns bleiben.” „Aber das ist eine ungeheuer großzügige Spende.” „Ich habe das Bedürfnis, etwas zurückzugeben.” Noch vor ein paar Wochen hätte Liz über die Vorstellung gelacht, Fool’s Gold etwas zurückzugeben. Einer Stadt, die sie ignoriert hatte? Doch die Dinge änderten sich. Sicher, Fool’s Gold war nicht perfekt. Keine Stadt war das. Es gab Positives und Negatives. Das Gleiche galt auch für die Menschen, die hier lebten. Sie mochte durch das soziale Netz gefallen sein, wie Dana sich ausgedrückt hatte, doch das war auch ein typisches Symptom der damaligen Zeit gewesen. Früher war Kindererziehung eher Privatsache gewesen.
Die Leute hatten weggesehen, statt sich einzumischen. Liz
Weitere Kostenlose Bücher