Ich fühle was, was du nicht siehst - Mallery, S: Ich fühle was, was du nicht siehst
waren. Das Geräusch, das sie schließlich doch aus dem Haus trieb, war das schrille Kreischen einer Fliesensäge.
Sie flüchtete mit ihrem Laptop und einer Decke in den hintersten Winkel des Gartens und setzte sich unter einem Baum in den Schatten. Das Geräusch war immer noch laut zu hören, aber nicht mehr so durchdringend.
Sie betrachtete das Haus. Sogar aus dieser Entfernung konnte sie die Veränderungen deutlich erkennen. Aus dem halb fertigen Anbau, der lediglich aus einem Betonfundament und ein paar Holzträgern bestanden hatte, war tatsächlich ein zusätzlicher Raum geworden. Das große Schlafzimmer und das angrenzende Bad im ersten Stock waren ebenfalls fast fertig. Wenn es so weit war, würde Liz sich überlegen, ob sie der alten Couch im Wohnzimmer nicht Lebewohl sagen sollte.
Die Küche erstrahlte in neuem Glanz und wirkte dank der frisch gestrichenen Wände heller und freundlicher. Außerdem war ein schicker Teppich verlegt worden. Das Haus hatte sich seit Liz’ Ankunft in Fool’s Gold wirklich sehr verändert. Es war praktisch wie neu.
Doch trotz der vielen Neuerungen beschlich Liz immer noch jedes Mal ein bedrückendes Gefühl, wenn sie es betrat. Vielleicht waren die Erinnerungen einfach zu präsent. Egal, was der Grund sein mochte – dieses Haus würde nie ihr Zuhause werden. Sie würde so schnell wie möglich ausziehen, und zwar unabhängig davon, ob sie nun in Fool’s Gold blieb oder nicht.
Sie konzentrierte sich erneut wieder auf ihren Computer. Nachdem sie ihr Schreibprogramm geöffnet hatte, begann sie, die Seiten durchzulesen, die sie am Vortag geschrieben hatte.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie wieder völlig in der Geschichte versunken war. Sie sah die Notizen durch, die sie sich zur Handlung gemacht hatte, und begann dann zu tippen. Der Serienkiller in diesem Roman hatte es auf Jungs im Teenageralter abgesehen. Die Szene, die Liz gerade in Arbeit hatte, spielte sich während eines Basketballturniers an der Highschool ab. Sie schloss die Augen, um sich die Atmosphäre in der Sporthalle bei einem wichtigen Spiel vorzustellen.
Zwei Stunden später lehnte sie sich an den Baum. Ihr Rücken tat ihr wegen der unbequemen Sitzposition weh, aber das Kapitel war fast fertig und die Fliesensäge glücklicherweise verstummt. Alles in allem ein ziemlich produktiver Vormittag.
Die Hintertür ihres Hauses ging auf, und Ethan trat auf die Veranda. In jeder Hand hatte er eine Flasche Wasser.
Gott, er sieht umwerfend aus, dachte Liz, als sie seine ausgebleichten Jeans, seine langen, starken Beine und schmalen Hüften betrachtete. Er bewegte sich mit maskuliner Eleganz – ein Mann, der sich wohl in seiner Haut fühlte.
„Ist dir der Lärm zu viel geworden?”, fragte er.
„Ich musste mich der Fliesensäge geschlagen geben.”
„Und ich war immer der Meinung, du wärst unbesiegbar.” Er reichte ihr eine Flasche und setzte sich dann ihr gegenüber auf die Decke.
„Nicht immer.” Sie sah zum Haus hinüber. „Deine Leute leisten großartige Arbeit. Danke.”
„Gern geschehen. Ich habe ein tolles Team.” Er deutete auf ihren Laptop. „Wie kommst du mit dem Buch voran?”
„Gut. Ich bin jetzt endlich in einem Stadium, in dem das Schreiben leichter wird. Der Anfang ist immer ein Albtraum. Man muss herausfinden, wie die Charaktere denken und handeln – und warum diese Leute das tun, was sie tun.”
„Klingt ja fast so, als wäre es Arbeit”, neckte er sie.
Sie guckte ihn mit gespielter Empörung an. „Provozier mich bloß nicht. Sonst muss ich dir wehtun. Wir wissen beide, dass ich es könnte.”
Sie lächelten einander an. Liz spürte ein Kribbeln im Bauch.
„Wirst du mich in diesem Roman wieder umbringen?”, fragte er.
„Ich hatte es eigentlich nicht vor. Aber jetzt habe ich es mir gerade anders überlegt.”
„Was habe ich denn getan?” Er machte ein unschuldiges Gesicht.
„Was du getan hast? Du erziehst meinen Sohn zu einem Sexisten, der Vorurteile gegen Frauen hat.”
Ethan starrte sie verständnislos an. „Wovon redest du?”
„Mädchen haben keine Ziele? Seit wann denn das? Ich weiß, dass er das von dir hat.”
Ethan stöhnte. „So habe ich das doch nicht gemeint. Wir haben darüber geredet, wie wichtig es ist, sich Ziele zu setzen. Darüber, dass man herausfinden muss, was man will.”
„Und?”
Er zuckte die Achseln. „Kann sein, dass ich irgendwann gesagt habe, dass Mädchen sich nur für Mode interessieren und am liebsten stundenlang am
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