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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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nicht sogar mit Absicht geschah. Aber das war auch egal. Ich sprach meine Anwältin mehrmals darauf an, aber sie hielt es für aussichtslos, dagegen vorzugehen.

    Neben den ständig wechselnden Mitbewohnern auf der infirmary gab es hier, wie ich allmählich herausfand, auch eine kleine Gruppe von permanent residents : Die meisten waren, wie ich, schon in etwas gesetzterem Alter und auf ständige ärztliche Betreuung oder auf irgendwelche medizinischen Geräte angewiesen. Im Mittelpunkt dieser Gruppe stand Martino, ein smarter Mittdreißiger, der so wie ich nachts ein Atemgerät benutzte. Martino genoss bei den guards offenkundig eine Sonderstellung. Er hatte Möglichkeiten, Dinge zu organisieren, an die andere nicht herankamen. Und das tat er, hilfsbereit wie er war, auch für seine Mitgefangenen, jedenfalls für einige von uns. Schon in den ersten Tagen trieb er ein Kopfkissen für mich auf, und er kümmerte sich darum, dass mir ein anderer Gefangener ein T-Shirt schenkte, damit ich nachts nicht so fror.
    Martino war sichtlich am Kontakt zu mir interessiert. Einmal steckte er mir, während wir im Gemeinschaftsraum auf das Essen warteten, die Ohrhörer seines Radios in die Ohren. Ich hörte ein paar Takte «Sweet Home Alabama», gespielt von Lynyrd Skynyrd.
    «Do you like music from the sixties …?», fragte er.
    Was für eine Frage! Musik gehört für mich zum Wichtigsten im Leben. Wegen der Musik war ich eigentlich in die USA gekommen. Und sogar hier, im Knast, hatte ich schon nach ein paar Tagen begonnen, einen eigenen Song zu schreiben. Martino freute sich, dass er mit seiner Frage offenbar ins Schwarze getroffen hatte.
    «Was hältst du davon, deine Zelle zu wechseln?», fragte er mich ein paar Tage später. «Ich sorg dafür, dass bei uns was frei wird.»
    Dieses Angebot verblüffte mich. Seit wann konnten wir Gefangene uns aussuchen, mit wem wir eine Zelle teilten? Die Aussicht, mit Martino und den anderen permanent residents zusammen untergebracht zu werden, war nicht schlecht. Es würde mir die ständigen Wechsel und vor allem die Verlegung in eins der boats ersparen , die mir schon mal von einem guard angekündigt worden war. Ich hatte schon mitbekommen, dass die Gefangenen aus der Zelle 10, in der Martino lag, etwas respektvoller behandelt wurden und ein paar Privilegien genossen. Martino hatte mir quasi die Aufnahme in diesen Kreis angeboten.
    «Klar», antwortete ich, «sehr gern!»
    Noch am selben Abend kam ein Schließer zu mir.
    «Einpacken! Umziehen!», wies er mich an. Viel zu packen hatte ich ja nicht. Im Grunde war es einfach ein Bettentausch. Die Belegschaft der Nummer 10 hatte offenbar einen unliebsamen Mithäftling loswerden wollen, und dieser bezog nun meine Zelle.
    «Was für eine Veränderung! Ich habe das nicht für möglich gehalten, ich bin von der infirmary sozusagen in den Olymp gekommen. Wir sind hier zu fünft auf dem Zimmer, eine Wanne gibt es hier nicht. Alle sind nicht nur schwer in Ordnung, dieses Zimmer hat einfach einen Sonderstatus. Hier hat jeder Bücher und Papier, so viel er will, außer mir bunkert hier jeder Essen, cookies und alles Mögliche, Kontrollen finden kaum statt. Jeder – außer mir, das kommt noch – hat eine Plastikkiste als Regalersatz, Sam hat einen halben Zentner Akten an der Wand gestapelt, jeder hat ein Kopfkissen und Decken, so viel er braucht, jeder – außer mir, das kommt auch noch – hat ein Radio mit Kopfhörer! Man könnte fast sagen, dass die Situation beinahe wohnlich ist. Die trustees stecken unserem Zimmer immer extra was zu, Klopapier kommt von alleine, ohne dass Du darum betteln musst», schrieb ich am 5. Februar 2006 an meine Familie.
    Es war eine ebenso makabre wie illustre Gesellschaft, mit der ich von jetzt an meine Tage verbrachte: Neben Martino und mir gehörte dazu Sam, ebenfalls gebürtiger Brasilianer und mit seinen 58 Jahren der Zellenälteste. Sam hatte ein Universitätsstudium absolviert und das Auftreten eines Weltmannes. Er redete gern und viel; ob man ihm alles glauben konnte, war mir aber nicht so ganz klar. Sein Vater war angeblich als Architekt am Bau der Weltausstellung in Montreal beteiligt gewesen und zeitweise sogar Minister in Brasilien. Sam war Rollstuhlfahrer. Er saß seit über sechs Jahren im Knast, verurteilt als murder 2nd degree , was nach deutschen Recht so viel wie Totschlag bedeutet. Er selbst bezeichnete sich als unschuldig.
    Auch Habib saß im Rollstuhl und hatte, wie Martino und Sam, studiert. Sein

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