Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
gottverlassenen Winkel der Welt zu arbeiten, alles erlauben. Jedenfalls saß ich einmal geschlagene sieben Stunden vor seinem Sprechzimmer und kam am Ende doch nicht dran. Glücklicherweise ging es nur darum, die obligatorische Eingangsuntersuchung zu absolvieren, mir fehlte ansonsten nichts. Später erfuhr ich, dass es in der CI Reeves wegen der absolut unzureichenden medizinischen Versorgung mindestens einen Todesfall gegeben hat.
Was, zum Teufel, hatte mich an dieses Ende der Welt verschlagen? Darüber dachte ich in einem Brief nach, den ich am 13. Mai 2007 an eine Freundin in Hamburg schrieb. «Warum ich verlegt worden bin? Ich weiß es nicht. Meine Anwältin in Washington weiß es nicht. Meine Case -Managerin, die ich gefragt habe, weiß es nicht. Hatte ich schon mal erwähnt, dass in den USA ‹Was› und nicht ‹Warum?› gefragt wird? Folgendes Wissen habe ich: Das Bureau of Prisons ist vor einem Dreivierteljahr nach Texas verlegt worden. Dieser Knast – bestehend aus Reeves 1 und Reeves 2 – hat mehr als 2000 Gefangene und wird weiter ausgebaut, es gibt inzwischen ein Reeves 3. Während ich diese Zeilen schreibe, werden in Texas zeitgleich 9 (neun) neue Gefängnisse gebaut. In Texas gibt es zurzeit zwei nennenswerte Industrien: Ölförderung und Gefängnisse. Die Bush-Familie kommt aus Texas und ist wirtschaftlich in beiden Bereichen engagiert. Vielleicht hat es eine Order gegeben, mal aufzuräumen und möglichst viele Gefangene nach Texas zu bringen. Vielleicht. Vielleicht ist das alles noch viel schlimmer und wir wissen es einfach nicht.»
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Die Wahrheit über die Correctional Institution Reeves kannte ich damals tatsächlich noch nicht so genau. Sehr viel mehr erfuhr ich erst im November 2009, als die Zeitung «Boston Review» einen langen Report des Journalisten und Politologen Tom Barry unter dem Titel «Tod in Texas» veröffentlichte.
Tom Barry war nach Pecos gefahren, nachdem es in der CI Reeves gebrannt hatte: Gefangene hatten aus Protest gegen den Tod eines inmate im Dezember 2008 Feuer gelegt. Als der Journalist im Februar 2009 vor Ort eintraf, stiegen schon wieder dunkle Rauchwolken aus der correctional institution auf. Im hintersten Winkel von Texas begann Tom Barry eine Recherche, die ihn schließlich auf die Spur der neuesten Expansionsstrategie im gefängnisindustriellen Komplex brachte: die systematische Kasernierung von Ausländern mit dem einzigen Zweck, damit Geld zu verdienen. Mit der neu fertiggestellten CI Reeves 3 sollte hier Platz für insgesamt 3700 Männer geschaffen werden. Doch ein Teil der Anstalt ging in Flammen auf.
Der Aufstand im Dezember 2008 brach nach dem Tod des Strafgefangenen Jesus Manuel Galindo aus. Einen Monat zuvor noch war der 32-Jährige als Notfall ins örtliche Krankenhaus gebracht worden; er litt unter Epilepsie. Nach seiner Rückkehr sperrte man ihn in der CI Reeves einfach in den SHU, das «Loch», wie es die Gefangenen nennen. Galindo hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. Er war mit seinen Krankheitssymptomen und seiner ständigen Forderung nach medizinischer Hilfe einfach nur lästig geworden. Seine Mutter rief jeden Tag im Gefängnis an und erklärte, dass ihr Sohn Medikamente und einen Arzt brauche, aber auch das bewirkte nichts. Als Jesus Manuel Galindo am 12. Dezember 2008 tot in seiner Zelle gefunden und in einem schwarzen Plastiksack aus dem SHU getragen wurde, steckten Gefangene das Recreational Center in Brand, verweigerten den Einschluss und besetzten für eine Nacht den Sportplatz.
Meine Mitgefangenen in Pecos waren in der Lage, sich zusammenzuschließen und ihre Forderungen zum Ausdruck zu bringen, das hatte ich auch erfahren. Kurz bevor ich dort ankam, hatten sie aus Protest gegen das schlechte Essen die Food Hall boykottiert: Von 2000 Mann war kein einziger zum Essen erschienen, und das mehrere Male. Diese Aktion hatte sogar die Anstaltsleitung beeindruckt, nicht zuletzt, weil es ein logistisches Problem war, 2000 warme Mahlzeiten zu entsorgen. Die Qualität des Essens hatte sich danach leicht verbessert, zumindest für Leute, die gern Reis mit Bohnen aßen.
Jesus Manuel Galindos Geschichte ist beispielhaft für die vieler Männer in der CI Reeves. Seine Eltern lebten als legale Einwanderer in New Mexico/USA und bemühten sich schon seit einiger Zeit um eine Aufenthaltsgenehmigung auch für ihn, ihren ältesten Sohn. Galindo war mit einer Amerikanerin verheiratet, hatte zwei Kinder, die amerikanische Staatsbürger waren
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