Ich gegen Osborne
alle und eure Freunde . Wir sind alle nur Freunde. Ist das nicht toll? Vielleicht können wir eines Tages alle gegenüber voneinander Apartments in New York nehmen.«
»Na schön. Wir sind wohl mehr als Freunde. Wir reden miteinander.«
Am liebsten hätte ich ihr gesagt, wie typisch sie sich anhörte, doch ich wollte unbedingt etwas anderes ansprechen. »Deine Pläne für den Ball kannst du wohl in die Tonne treten, oder?«
»Ja! Gott sei Dank.«
[212] »Hä?«
Ich öffnete ihr die Tür zur Cafeteria. »Danke. Ich bin so erleichtert, dass ich da nicht hingehen muss.«
»Warum warst du dann einverstanden, ihn zu begleiten?«
»Weiß ich auch nicht. Ein Teil von mir wollte wohl hingehen. Aber es hat mich total verunsichert. Ich bin heilfroh, dass der Ball abgesagt wurde. Ich hasse das – mich wie Aschenputtel rausputzen zu müssen. Ich will ein hässliches Entlein bleiben.«
Ich schwieg, während ich meinen Platz am Ende der Mittagessenschlange einnahm, die fast so lang war wie der ganze Raum. Chloe blieb bei mir.
»Da ist noch etwas, worüber ich mit dir reden wollte«, sagte sie und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Sei nicht überrascht, wenn Hamilton in deinem Englischkurs etwas zu dir sagt.«
»Warum sollte er etwas zu mir sagen?«
»Es ist meine Schuld. Wir beide hatten in der dritten Stunde zusammen Rechnungswesen, und er merkte, dass ich mir wegen irgendwas Sorgen machte, und weil er mir keine Ruhe ließ, erzählte ich ihm schließlich, ich sei aufgebracht wegen allem, was zwischen dir und mir in Slims Kurs vorgefallen war, und irgendwie erwähnte ich auch, was du zu mir über Panama City gesagt hast, was ich besser für mich behalten hätte, aber er ließ nicht locker und sagte schließlich, er wolle mit dir reden, worauf ich sagte, untersteh dich, und er musste mir versprechen, den Mund zu halten, aber nur für alle Fälle wollte ich dich vorwarnen, damit du nicht überrumpelt wirst. Tut mir leid.«
[213] »Weiß er überhaupt, wer ich bin? Wir haben noch nie ein Wort miteinander gewechselt.«
»Ja. Er kennt dich. Und wie gesagt, wahrscheinlich sagt er nichts, aber falls doch, reg dich nicht darüber auf, weil er seiner Meinung nach, na ja, meine Ehre verteidigt oder sowas.«
Ich lachte ihr laut ins Gesicht.
»Was denn?«, fragte sie.
» Er verteidigt deine Ehre gegen mich ?«
»Ich bedeute ihm etwas, ob du’s glaubst oder nicht.«
»Na klar, das glaub ich sofort.«
»Hey – ich würde mich gern noch unterhalten, aber dann komme ich zu spät in meinen Kurs, wir sehen uns also in Kunst. Und nochmal: Das mit deiner Textkritik tut mir leid. Ich fand deinen Auszug toll. Als ich das mit dem Überkritisch gesagt habe, war das nur Gerede.«
»Mir tut’s auch leid. Gib Hamilton einen Kuss von uns.«
Sie schenkte mir einen schelmischen Blick, der so viel wie »Sei bloß still« bedeutete, und ging. Als ich anfing, das soeben stattgefundene Gespräch zu analysieren, wurde mir klar, dass ich noch etwas zu erledigen hatte. Ich musste Rektor Shankly danken und ihm versichern, dass unsere Abmachung nun in trockenen Tüchern war. Doch Shankly war nicht in der Cafeteria. Ich sah ihn vor mir, wie er unter seinem Schreibtisch hockte, während fuchsteufelswilde, knurrende Jugendliche versuchten, seine Bürotür aufzubrechen.
Rasch wanderten meine Gedanken zu Hamilton Sweeney. Ich stellte mir vor, wie toll es wäre, wenn er mich in der fünften Stunde beschimpfen würde, damit ich antworten [214] konnte: »Danke dir für deine Worte, aber du solltest wissen, dass ich der Grund bin, weshalb du deinen schwachsinnigen Kindern mal keine Fotos vom Abschlussball zeigen kannst.« Doch ich wusste, dass ich das nie sagen könnte. Die kurzzeitige Befriedigung, das Entsetzen auf seinem Gesicht zu sehen, würde nicht die langfristigen Konsequenzen aufwiegen, wenn man der Erzfeind des Abschlussjahrgangs 1999 war, ganz zu schweigen davon, dass es meine Abmachung mit Shankly komplizierter machen würde. Es musste ein stiller Sieg werden, was an sich bereits zutiefst befriedigend wäre. Als sich irgendwelche coolen Kids vordrängten – so wie jeden Tag –, störte es mich ausnahmsweise überhaupt nicht. Keiner von ihnen würde erwachsen werden, und das lag allein an mir.
[215] Mittagspause
11 . 32 Wäre das riesige Gebäude namens Osborne High ein Backsteinungeheuer, das jeden Schüler bei lebendigem Leibe verschlänge, dann wäre die Cafeteria sein gluckernder, rumorender Bauch. Morgens wurde
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