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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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der Schüler zermahlen, und nachmittags wurde er ausgeschieden, doch in der Mitte des Tages musste er sich 35   Minuten lang mit all den anderen Klumpen Teenagerfleisch an diesem abstoßenden Ort durchschütteln lassen. Für mich war Osborne hier am beklemmendsten spürbar. Seit meiner Kindheit fühlte ich mich nirgendwo so wertlos wie in Cafeterias. In dieser speziellen Cafeteria gehörte ich bestimmt nicht an den Tisch, an dem ich saß, doch vermutlich war ich zu freakig, um bei den Strebern zu sitzen, und zu sehr Streber, um bei den Freaks zu sitzen, und ich wusste nicht, wohin ich sonst sollte.
    Die Essensschlange wollte partout nicht vorrücken. Wieder suchte ich den Raum nach Mr.   Shankly ab, als vor mir eine muntere, quietschvergnügte Stephanie auftauchte.
    »Hey, James! Ist das nicht irre mit dem Ball?«
    »Das ist wirklich irre.«
    »Ich wusste ja gar nicht, dass du um diese Zeit isst. Wo sitzt du?«
    »Hinten, bei der Tür.« Ich zeigte auf meinen Tisch.
    [216]  »Ist es okay, wenn ich nachher bei dir vorbeikomme?«
    »Oh. Klar. Natürlich.« Und weg war sie, von ihren Saucony-Laufschuhen Richtung Salatbar getragen.
    Ich fragte mich, warum irgendwer mich an meinem Tisch besuchen sollte. Wollte sie Hamilton eifersüchtig machen? Doch es gab drei verschiedene Mittagspausen, und er aß nicht in meiner. Mochte sie mich wirklich? Strahlte ich etwa eine neue, unübersehbare Selbstsicherheit aus, nachdem ich den Abschlussball erledigt hatte?
    Wahrhaftig, als ich allein am Ende der Schlange stand, fühlte ich mich plötzlich so stark, als hätte ich nach einem Leben als Schwächling mit Leichtigkeit wie Artus das Schwert aus dem Stein gezogen. (Wir hatten im Vormonat in Englisch Der König auf Camelot gelesen.) Mit erhobenem Kinn zog ich meinen Anzug gerade und kam mir vor, als herrschte ich über diese Legion geiler, hungriger Kids. Jetzt, wo ich mit ihnen in der Cafeteria war, genoss ich es fast, dass ich ihr Leben durcheinandergewirbelt hatte. In der Cafeteria waren sie besonders übel drauf: Es war ein Ort, wo eine fallende Serviette genügte, um eine Schlägerei vom Zaun zu brechen, wo sich Gerüchte und Beschimpfungen am heftigsten ausbreiteten, die Luft verpesteten, die seltsamerweise nach Desinfektionsmitteln roch. Sogar noch schlimmer war die strikte Zusammensetzung der Tische. Wie in jeder Highschool saßen nur Rednecks bei Rednecks, Preppies bei Preppies und so weiter und so fort. Die von den Schülern selbst aufgestellten Regeln waren weitaus repressiver als die der Obrigkeit.
    Während sich die Warteschlange im Kriechtempo vorwärtsbewegte, versuchte ich alle Veränderungen zu [217]  entdecken, die Shanklys Ankündigung unter den Teenagern bewirkt hatte. Vielleicht war es eine Projektion, aber die Hälfte der Anwesenden schien fröhlicher zu sein als gewöhnlich. Die sich mitten durch den Raum ziehende Warteschlange teilte die Cafeteria in zwei Hälften. Auf einer Seite des Raums waren die beliebteren Schüler, auf der anderen die weniger beliebten, auf einer Seite waren die »Normalen« und auf der anderen die »Anderen«. Die weniger beliebte Seite schien heute etwas aktiver zu sein, man besuchte sich gegenseitig an den Tischen und lachte mehr und ausgiebiger als sonst. Vor lauter Egoismus war ich nicht auf die Idee gekommen, dass die Absage des Balls auch anderen als mir den Tag verschönern könnte. Ich sah zwei schlaksige Jungs mit hochgezogenen Hosen, die sich bei einem Bleistiftduell vor Lachen ausschütten wollten, ein fettes Mädchen mit glänzender Zahnspange, einen Klarinettisten, der aussah, als wäre er zwölf, und friedlich einen Comic las, und all die anderen, in deren Betten nur geschlafen wurde, all die Nerds, Spinner, Introvertierten und Außenseiter. Und als ich mir überlegte, wie sich ihr Leben vielleicht ein wenig verbessert hatte, weil sie nicht mehr das Gefühl haben mussten, dass mit ihnen etwas nicht stimmte, weil sie nicht auf ihren Ball gingen – zu dem sie gehen mussten, wie man ihnen eingetrichtert hatte –, hätte ich heulen können. Ich hatte sie befreit! Ich fühlte mich wie Prometheus, der das Feuer den Highschool-Göttern gestohlen und den Sterblichen gegeben hatte, die es am nötigsten brauchten. (Wir hatten in Englisch auch Frankenstein gelesen.)
    Dagegen war die Stimmung auf der anderen Seite des Raums gedämpft. Am Tisch der coolen Jungs, der aus drei [218]  zusammengeschobenen Tischen bestand, damit möglichst viele coole Jungs Platz hatten, ging es

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