Ich gegen Osborne
ungewöhnlich still zu, weil ziemlich viele Jungs ihren geschätzten Platz verlassen mussten, um mit ihren coolen Freundinnen zu sprechen. (Ich entdeckte Stephanie, die an einem der beiden Tische für coole Mädchen saß.) Und das Schulmaskottchen, das sonst mit geradezu explosiv guter Laune den Geist der Schule verkörperte, stocherte mit der Gabel missmutig in seinem Essen herum. Alle hatten die Köpfe gesenkt und wirkten bedrückt.
Die Warteschlange kam voran, doch zwischen mir und der Küche standen noch etwa fünfzehn Schüler. Heute gab es Pizza, die rechteckig war und immer mit Mais serviert wurde. Sogar auf der Grundschule hatte es aus unerfindlichen Gründen zur Pizza immer Mais gegeben. Bei einem seltenen hemmungslosen Flirtversuch hatte ich einmal zu Chloe gesagt: »Du und ich, wir beide passen zusammen wie Pizza und Mais.« Das hatte ihr gefallen, und als sie lachte, interpretierte ich das als Zeichen der Zuneigung. Doch jetzt weiß ich, dass sie wohl nur gelacht hatte, weil ihr nichts anderes einfiel – ein mitleidiges Lachen für ihren guten Kumpel James.
Egal, was Pädagogen uns weismachen wollen, Pizza und Mais passen überhaupt nicht gut zusammen.
11 . 38 Shankly war immer noch nicht da. Tommy kam zu mir, sagte dann aber kein Wort. »Ist es nicht toll, dass der Ball abgesagt wurde?«
»Vermutlich schon.« Das war eine typische Reaktion von Tommy, der sich nur für wenige Themen begeistern konnte [219] (unter anderem: Spinnenbisse und Dolph Lundgren). »Ich wollte sowieso nicht hingehen.«
»Ja, aber jetzt geht niemand hin. Du bist nicht allein.« Er schwieg. »Tut mir leid, dass ich dich heute Morgen einfach so stehenließ.«
»Ist mir nicht aufgefallen.«
»Du hattest Recht. Es kam bei Chloe nicht gut an, als ich sie nach den Gerüchten fragte.«
»Hab ich dir doch gesagt.«
»Wie läuft’s bei dir und deiner Angebeteten?«
Tommy hatte eine eigene Chloe, bei der er langsam Fortschritte machte, doch als er gerade antworten wollte, unterbrach uns ein Unterstufenschüler mit Igelfrisur, der ihn um einen Dollar bat. Ich wusste zwar, dass es jetzt angebracht gewesen wäre, sich vorzustellen, doch Gleichaltrige sahen mich deswegen oft komisch an. (Ich war der schräge Typ, weil ich mich angemessen benahm.) Daher wandte ich mich von Tommy und seinem Freund ab und schaute mich weiter in der Cafeteria um. Fenster gab es keine, die Lampen waren typische Leuchtstoffröhren, und der Teppichboden hatte dieselbe triste graubraune Farbe wie überall sonst in der Schule. Ein wenig Charakter bekam der Raum nur durch die gerahmten Fotos der Osborne Highschool Sports Hall of Fame, die an allen vier Wänden hingen, sowie ein großes Ölgemälde des längst verstorbenen Industriellen und Philanthropen Roderick Osborne, des Namensgebers der Schule, für den gut und gerne die Hälfte der Großeltern und Urgroßeltern der heutigen Schüler gearbeitet hatte.
Als Tommys Freund weg war, fragte ich ihn, ob er Stephanie Schnuck kenne.
[220] »Die kennt jeder. Warum?«
»Sie war heute Morgen meine Laborpartnerin.«
»Sie ist ’ne Schlampe.«
»Ich würd sie nicht als Schlampe bezeichnen.«
»Ist sie aber. Von der Tussi hör ich seit der sechsten Klasse. Sie ging zwar nicht mal auf meine Schule, aber so bekannt war sie für ihre Muschi. Sechste Klasse. «
»Ich weiß, dass sie sich früher oft schlampenmäßig benommen hat, aber sie sieht nicht wie ’ne Schlampe aus und benimmt sich auch nicht wie eine.«
»Sie ist ’ne Schlampe«, sagte Tommy abschließend und begab sich ans Ende der Schlange. (Er war nicht so dumm zu fragen, ob er sich vor mir einreihen durfte.)
Als ich quer durch den Raum zu Stephanie und ihren Grübchen hinüberschaute, stellte ich mir eine rosige Zukunft vor, in der ich sie im Alleingang dazu brachte, das Leben einer nuttigen Schlampe aufzugeben und eine tiefergehende, monogame Beziehung mit mir einzugehen, dem Mann, der ihr jede Tür aufhielt und ihr in den Mantel half. Ich könnte gut zu ihr sein. Ich nahm mir vor, Stephanie nach dem Mädchennamen ihrer Mutter zu fragen. Vielleicht konnte meine Mutter bestätigen, dass sie einer guten Familie entstammte.
Oh, nun komm schon runter, sagte ich mir im Stillen. In zehn Jahren würde Stephanie wahrscheinlich ein Flittchen und eine Reservetänzerin für irgendeinen hypersexualisierten Pop-Act sein. Ich habe mich immer gefragt, was die Eltern solcher Tänzerinnen von ihnen halten. Ob ihre Mütter die Verwandtschaft anriefen und
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