Ich gegen Osborne
und ich drehte lauter, als ich hörte, dass der nächste Song Send in the Clowns von Frank Sinatra war, dessen Stimme ich als so tröstlich empfand, und Trost konnte ich gut gebrauchen, da ich von meinem Erlebnis auf dem Parkplatz noch immer aufgewühlt war.
Sinatra war der Lieblingssänger meines Vaters gewesen. »Mir ist egal, dass er ein Frauenheld ist oder sich mit [430] Gangstern rumtreibt oder dergleichen«, hatte mein Dad gelegentlich gesagt. »Der Mann kann singen, und nur darauf kommt es an.« Als ich an Dad dachte, wie er über Sinatras Schwächen sprach, kam mir ein Gedanke: Die Große Regression oder die Große Dumme Hurerei oder wie auch immer man unsere verkommene Welt nennen mochte – vielleicht war das gar nichts Neues. Sogar in Camelot gab es Schlampen. Aber wie Dad gesagt hatte, es war egal. Als sich meine Ohren öffneten, wollte ich nur diese Stimme hören, die volle, romantische Stimme, die ich nicht hören konnte, ohne dass ich daran denken musste, wie ich auf dem Schoß meines Vaters gesessen hatte. Was war ich für ein glückliches Kind gewesen. Was war ich für ein lieber Junge gewesen. Ich drehte den Song noch lauter. Bei Sinatras Stimme nicht an meine Kindheit zu denken, wäre genauso schwierig, wie jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaute, nicht meinen Vater zu sehen.
Ich sah in meinen Rückspiegel und ließ endlich meinen Tränen freien Lauf. Ich ließ sie langsam mein Gesicht hinunterfließen. Problemlos überwanden sie meine Pickel und wuschen etwas Fett von meiner Haut, das sich im Lauf des langen Tages angesammelt hatte, als schöbe sich eine Fingerspitze durch eine Staubschicht auf einem alten Bucheinband.
Ich lächelte beim Weinen, und ich lächelte weiter, auch als ich merkte, dass alle um mich herum ihre Musik so laut laufen ließen, dass ich den in meinem Wagen spielenden Song kaum hören konnte. All ihre Songs, all ihre jugendlichen Genres mit ihrer simplen Perkussion und der herzlosen Technik, umgaben und überwältigten mich. Sinatras [431] Stimme, so intensiv sie war, konnte unmöglich mit ihren kalten, erdrückenden Beats konkurrieren, die meinen bebenden Wagen zu zerlegen drohten. Selbst als ich meine Musik auf höchste Lautstärke stellte, hörte ich nichts außer: »wumm wumm… my body, your body… wumm wumm… touch it, touch it, touch it … wumm wumm… my body, your body. I want inside that body «.
Doch sie alle sahen so glücklich aus. Sie alle saßen nicht allein in ihrem Auto. Gemeinsam nickten sie rhythmisch mit den Köpfen. Mit einer Hand schnippten sie Zigarettenasche aus dem Fenster, und die andere Hand lag auf ihrem Freund oder ihrer Freundin. Sie berührten einander, weil es für sie ganz natürlich war.
Ich war krank, und sie waren gesund. Ich hatte es die ganze Zeit gewusst.
Nein, Sinatra hatte keine Chance. Immer noch lächelnd, immer noch weinend warf ich die Kassette aus und steckte sie wieder in ihre Hülle. Da ich keine andere Wahl hatte, als ihre Musik zu hören, fing ich an zu lachen. Ich lachte und weinte, und dann hörte ich auf zu weinen und lachte noch ein wenig mehr. Manche Leute nannten so etwas einen »Anfall«. Ich weiß nicht, ob es ein »Anfall« war, aber ich weiß, dass es sich richtig anfühlte zu lachen. Denn, dachte ich noch, was bleibt einem anderes übrig, als zu lachen?
[432] Danksagung
Mein Dank gilt:
Meiner Nichte Nancy Marie Bruner, die ich an erster Stelle nenne, weil sie in ihren ersten drei Lebensjahren meiner ganzen Familie so innige Freude beschert hat, Micah Goebel, Nancy Goebel, Michael and CeCe Bruner, Chandra Britt.
Dem verstorbenen Daniel Keel, Philipp Keel, Winfried Stephan, Daniel Kampa, Ruth Geiger, Hans M. Herzog, Susanne Bauknecht, Cornelia Eberle, Anna von Planta.
Dem Fachbereich Englisch der Brescia University, Kelly Broich, Robert Ehlers & Simon Hiebl, Héloise d’Ormesson, David Poindexter, Scott Taylor, Susie Thurman, der rumänischen Schriftstellergewerkschaft.
Und besonders einem kleinen Gentleman, der nie einen Tag erleben wird, wie ihn James durchstehen musste. Das werde ich nicht zulassen.
Adam Joseph Goebel IV, meinem Sohn.
Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag
JOEY GOEBEL ist 1980 in Henderson, Kentucky, geboren, wo er auch heute lebt und Schreiben lehrt. Seine früheren Romane Vincent, Freaks und Heartland wurden in 14 Sprachen übersetzt.
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