Ich geh jetzt in dein Karma rein
fündig. Dort warben diverse Anbieter für Kartenlegekurse zu den unterschiedlichsten Konditionen. Da es mir besonders die bunten Motive der Lenormand-Orakelkarten angetan hatten, blieben schließlich aber nur noch eine Handvoll Angebote über. Spontan wählte ich die auf einer Seite angegebene Inforufnummer, und nach einer ausführlichen Beratung durch die Kursleiterin entschied ich mich für ein Tagesseminar zu einem erschwinglichen Preis.
Zwei Wochen später war es so weit. An einem Samstagmorgen im Sommer machte ich mich auf in eine Nachbarstadt. Die Sonne knallte schon morgens vom wolkenlosen Himmel, und ehrlich gesagt hätte ich es mir bei diesem Wetter lieber im Garten gemütlich gemacht, als ein Seminar zu besuchen.
Doch gebucht war gebucht.
Meinen Wagen parkte ich am Straßenrand eines beschaulichen Wohnviertels. Ich war 20 Minuten zu früh und fast so nervös wie vor einem Blind Date.
Ich kramte den Zettel mit der Adresse aus meiner Tasche und begab mich langsam zur notierten Hausnummer. Was wohl auf mich zukam? Würde ich heute Abend tatsächlich in der Lage sein Karten zu legen, zweifelte ich so vor mich hin. Und wie wohl die anderen Teilnehmer sein würden? Wahrscheinlich kannten sie sich viel besser mit den Lenormand-Karten aus als ich. (Keine große Kunst, denn ich hatte ja überhaupt keine Ahnung.) Hoffentlich verstand ich überhaupt irgendetwas! Wenigstens war Lydia, die Seminarleiterin, am Telefon sehr nett gewesen. Das beruhigte mich ein wenig.
Ungläubig schaute ich auf meinen Zettel, als ich an besagter Hausnummer ankam. Dann blickte ich mich noch mal nach einem Straßenschild um. Irrtum ausgeschlossen. Nicht dass ich ein modernes Schulungszentrum oder Ähnliches erwartet hätte – aber ein maroder Holzverschlag …? Neben dem kleinen Fenster an der rechten Seite war ein Glaskasten befestigt, in dem Parteiinformationen aushingen, mit dem Hinweis, dass es sich bei dem Büdchen um die Parteizentrale dieses Stadtteils handelte.
»Ach, da ist ja die erste Teilnehmerin. Guten Morgen!«
Ich schreckte zusammen. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Tür auf der linken Seite offen stand. Im Türrahmen lehnte eine kugelrunde Frau in einem wallenden Gewand, die mich freundlich angrinste. Das konnte unmöglich Lydia sein. Eine kleine zierliche Frau mit langen blonden Haaren hatte ich mir vorgestellt. Typ Ursula Karven. Und jetzt so jemand …
»Guten Morgen«, sagte ich und fühlte mich ertappt. »Ich war mir nicht sicher, ob ich hier richtig bin.«
»Absolut richtig. Ich bin die Lydia, die Kursleiterin.« Sie streckte mir ihre rechte Hand entgegen.
»Hallo, ich bin die Bianca. Wir hatten, glaub ich, telefoniert.«
Lydia nickte und drückte beherzt meine Hand, während eine leichte Brise durch ihre kurzen brauen Locken wehte, die ihr rundes ungeschminktes Gesicht umrahmten. »Komm rein, du hast freie Platzwahl.«
Der kleine Raum der Parteizentrale verströmte den Charme der 1960er-Jahre. Es roch staubig und nach altem Zigarettenrauch. Die Wände und die Decke waren vollständig mit Holz verkleidet. An den Wänden waren Regalbretter befestigt, auf denen Kegelpokale und Bierstiefel dekorativ in Reih und Glied aufgestellt waren. In einer Ecke surrte ein Kühlschrank, der wahrscheinlich schon vor meiner Geburt seinen Dienstantritt gehabt hatte. Irgendetwas sagte mir, dass in dem Büdchen nicht nur politisch diskutiert, sondern regelmäßig auch fröhlich gepichelt wurde. In dem Kühlschrank vermutete ich rund vierzig Bierflaschen sowie eine satte Auswahl hochprozentiger Getränke. Man musste dem Kind eben nur einen Namen geben, und in diesem Fall nannte man es »Parteizentrale«.
In der Mitte des Raums waren vier Tische zusammengeschoben, mit je zwei Stühlen pro Tisch. Ich war die Erste und entschied mich für einen Holzstuhl direkt am Eingang. Die Hitze hatte sich in dem Häuschen jetzt schon angestaut, und durch die geöffnete Tür drang wenigstens ein laues Lüftchen. Der Stuhl wackelte, und das Muster der Plastiktischdecke hatte sich an manchen Stellen vom vielen Abwischen bereits komplett verabschiedet. Auf der Fensterbank entdeckte ich ein kleines Transistorradio, das mit der Musik von James Last das Ambiente perfekt hätte untermalen können.
Lydia lehnte wieder im Türrahmen und lotste die restlichen fünf Teilnehmer ins Büdchen. Wenig später war die Seminargruppe komplett.
Auf meinem Wackelstuhl fühlte ich mich irgendwie in eine Komödie von Hape Kerkeling hineinversetzt. Unter dem
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