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Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Titel: Ich glaube, der Fliesenleger ist tot! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Karnick
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Tiedemann im Flur stehen, er faltete die Hände über dem Bauch und hielt eine Rede: »Ich bin erschüttert«, sagte Herr Nadler feierlich. »Wir sind ein Traditionsunternehmen, unser guter Ruf hat uns groß gemacht, so etwas habe ich noch nie sehen müssen auf einer unserer Baustellen. Ich weiß nicht, wie das alles passieren konnte.«
    Mein Mann sagte: »Das weiß ich auch nicht.«
    Ich dachte: Fragen Sie mal Katja, die Ihnen tausend Mails geschickt hat mit der Bitte, sich zu kümmern. Oder den Mann, der neben Ihnen steht, vielleicht kann der es Ihnen erklären.
    »Ich muss jetzt gehen und die Organisation und die Abläufe in meiner Firma völlig neu überdenken«, sagte Herr Nadler. »Sie können sich vielleicht vorstellen, wie es mir geht – angesichts dieser Schande.«
    An dieser Stelle fing Herr Nadlers Stimme an, leicht zu schlingern; fast schien es mir, als würden seine Augen hinter der Brille feucht schimmern.
    »Ich jedenfalls kann mich gut in Sie hineinversetzten, und ich möchte Sie hiermit vielmals um Entschuldigung bitten für das, was geschehen ist«, sagte Herr Nadler und streckte uns seine Hand entgegen.
    »Hm«, sagte mein Mann und ergriff die Hand. »Na gut.«
    »O.k.«, sagte ich. »Wir können also davon ausgehen, dass Sie alle Mängel beheben?«
    »Selbstverständlich«, sagte Herr Nadler, Herr Tiedemann nickte dazu, dann gingen beide.
    Als die Haustür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, sagte ich: »Meinst du, der meinte das ernst?«
    »Der hat doch fast geweint«, sagte mein Mann. »Und ich war kurz davor mitzuweinen. Ich musste mir vorstellen, wie es mir ginge, wenn mein ganzes berufliches Lebenswerk den Bach runtergeht. Der scheint seinen Laden nicht mehr im Griff zu haben, der arme alte Mann.«
    Nachdem Herr Krummwinkel die Mängelliste abgearbeitet hat, kommt er mit einem Vertreter der Heizungsherstellerfirma und programmiert die Heizung. Ich frage den Heizungsfachmann, wie er seinen Kaffee möchte, Herrn Krummwinkel frage ich nicht. Ich weiß längst, dass er Kaffee schwarz trinkt, notfalls auch abgestanden und lauwarm – daran hat er sich damals bei der Bundeswehr gewöhnt, da gab’s immer nur kalten Kaffee. Seine Frau arbeitet als Friseurin und leidet unter einer Erdnussallergie, die beiden haben zwei Töchter, sechs und zwölf Jahre alt, die ältere Tochter spielt Fußball, die jüngere hat Übergewicht. Zur Familie gehö-ren außerdem zwei Dobermänner, obwohl seine Frau lie ber Pudel hätte, aber Pudel kommen Herrn Krummwinkel nicht ins Haus. Sein Haus hat er eigenhändig gebaut, nach Feierabend.
    »Na, da arbeitet man bestimmt sehr sorgfältig, wenn es das eigene Haus ist«, habe ich gesagt, als er mir davon erzählte – vergeblich hoffend, dass er den bissigen Unterton in meiner Stimme bemerken würde.
    »Aber Hallo!«, hat Herr Krummwinkel gesagt. »Davon können Sie ausgehen. Da habe ich Sachen möglich gemacht, die sind eigentlich unmöglich. Das ging aber dann auch an die Substanz, jeden Abend nach der Arbeit und jedes Wochenende auf die eigene Baustelle. Und jede Rohrnaht eigenhändig verschweißt, das hält die nächsten tausend Jahre.«
    Die Rohre in unserem Haus wurden, so ist es heutzutage absolut üblich, nicht mehr verschweißt, sondern ineinandergepresst. Das hält dann vielleicht noch die Druckprobe aus, aber danach, wenn man Pech hat, nicht einmal bis zum Einzug. Eine fehlerhaft gepresste Rohrverbindung falle meist schon in den ersten Monaten nach dem Bau auf, hat der Trockenexperte gesagt. Seit diese Methode sich durchgesetzt habe, käme es in Neubauten viel häufiger zum Wasserschaden als früher.
    »Schön«, habe ich zu Herrn Krummwinkel gesagt. »Dann betrachten Sie doch bitte mein Haus als das Ihre.«
    Ich kenne Herrn Krummwinkels Familienverhältnisse, weil er und ich schon viele Becher Kaffee zusammen getrunken und manche Zigarette dazu geraucht und dabei das eine oder andere Wort gewechselt haben. Ich leide – was Herrn Krummwinkel angeht – unter einer handwerkerspezifischen Form des Stockholm-Syndroms. Das Stockholm-Syndrom beschreibt laut Wikipedia »ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. Dies kann dazu führen, dass das Opfer mit den Tätern sympathisiert und kooperiert.«
    Ich fühle mich eindeutig als Opfer. Ich bin eine Geisel der Unfähigkeit: Seit Monaten bin ich mit Herrn Krummwinkel eingesperrt in meinem eigenen Haus. Ich sehe ihn öfter als meine

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