Ich hab dich im Gefühl
fährt gleich los. Ist noch ein Stückchen die Straße rauf, wir müssen uns beeilen. Gleich neben dem Shelbourne Hotel. Alles in Ordnung mit dir? Du machst ein Gesicht, als hättest du einen Geist gesehen, und sag mir jetzt nicht, dass es tatsächlich so war, ich hab heute nämlich schon genug verkraftet. Vierzig Euro«, brummt er vor sich hin.
Ein stetiger Passantenstrom versammelt sich am Ende der Grafton Street, um die Straße zu überqueren, und versperrt mir die Sicht. Dad zieht mich zurück, und ich gehe neben ihm die Merrion Row entlang, rückwärts, um meinen Amerikaner im Auge zu behalten.
»Verdammt!«
»Was ist denn los, Liebes? Es ist nicht weit. Was machst du denn überhaupt, warum gehst du rückwärts?«
»Ich kann ihn nicht sehen.«
»Wen denn, Liebes?«
»Jemanden, den ich kenne. Ich glaube zumindest, dass ich ihn kenne.« Ich drehe mich um und stelle mich neben Dad, schaue aber weiter die Straße hinunter und durchsuche mit den Augen die Menge.
»Na ja, wenn du dir nicht mal sicher bist, ob du ihn überhaupt kennst, würde ich mich nicht auf ein Schwätzchen mitten in der Stadt einlassen«, meint Dad, ganz der Beschützer. »Was ist denn das überhaupt für ein Bus, Gracie? Sieht sonderbar aus, finde ich. Da komm ich ein paar Jährchen nicht in die Stadt, und schau dir an, was die Transportgesellschaft alles anstellt.«
Ich ignoriere seine Bemerkung und lasse mich von ihm in den Bus führen, während ich immer noch versuche, in die andere Richtung zu spähen, und durch die Fenster Ausschau nach dem Mann halte. Inzwischen hat sich der Pulk, der mir die Sicht versperrt hat, entfernt, aber nun ist er nicht mehr zu sehen.
»Er ist weg.«
»Ach ja? Wenn er einfach abgedampft ist, kanntest du ihn wohl doch nicht so gut.«
Ich wende mich ihm zu. »Dad, das war das Seltsamste, was ich je erlebt habe.«
»Glaub ich nicht, denn etwas Seltsameres als das hier gibt es sowieso nicht.« Staunend sieht Dad sich um.
Jetzt sehe ich mich endlich auch im Bus um und nehme meine Umgebung zur Kenntnis. Die Passagiere tragen allesamt Wikingerhelme und haben Schwimmwesten auf dem Schoß.
»Okay, meine Damen und Herren«, sagt der Tourführer ins Mikro, »jetzt sind wir also vollzählig. Zeigen wir den Neuankömmlingen, wie sie sich zu verhalten haben. Wenn ich das Stichwort gebe, möchte ich, dass Sie alle brüllen wie die alten Wikinger! Und los geht’s!«
Als der ganze Bus anfängt zu grölen, hüpfen Dad und ich vor Schreck fast von unseren Sitzen, und ich spüre, wie er sich ganz fest an mich klammert.
Vierzehn
»Guten Tag, meine Damen und Herren, ich bin Olaf der Weiße und heiße Sie an Bord des
Viking Splash Bus
herzlich willkommen! Historisch bekannt unter dem Namen DUKW oder etwas liebevoller als ›Duck‹. Wir sitzen in der amphibischen Version des Fahrzeugs, das General Motors im Zweiten Weltkrieg gebaut hat und das sich ursprünglich durch das Wasser zur Küste vorkämpfen musste, um Lasten oder Truppen vom Schiff zum Land zu bringen. Heute wird das Modell in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und auch in anderen Teilen der Welt häufig als Unterwasser-Rettungsfahrzeug benutzt.«
»Können wir bitte aussteigen?«, flüstere ich Dad ins Ohr.
Aber er ist bereits Feuer und Flamme für unseren Ausflug.
»Dieses Fahrzeug wiegt sieben Tonnen, ist zehn Meter lang und zweieinhalb Meter breit. Es hat sechs Räder und kann mit Hinterrad- oder Vierradantrieb gefahren werden. Wie Sie sehen, ist es umgebaut und mit bequemen Sitzen, einem Dach und herablassbaren Seitenwänden ausgestattet worden, zum Schutz vor den Elementen, denn wie Sie alle wissen, wird unser Bus einen Sprung ins Wasser machen, und wir werden zusammen eine fantastische Rundfahrt durch die Grand Canal Docklands erleben.«
Alles jubelt, und Dad schaut mich an, die Augen vor Begeisterung weit aufgerissen wie ein kleiner Junge.
»Jetzt wundere ich mich nicht mehr, dass das hier zwanzig Euro kostet. Ein Bus, der durchs Wasser fährt! Ein
Bus
? Der durchs
Wasser
fährt? So was hab ich ja noch nie gesehen. Warte bloß, bis ich das den Jungs im Monday Club erzähle. Das kann nicht mal unser Großmaul Donal überbieten.« Dann wendet Dad seine Aufmerksamkeit wieder dem Tourführer zu, der wie alle anderen Passagiere einen Wikingerhelm mit Hörnern trägt. Auch Dad holt sich zwei von den Kopfbedeckungen, stülpt sich einen Helm auf den Schädel und überreicht mir den anderen, an dem zwei dicke blonde Zöpfe befestigt sind.
»Olaf,
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