Ich hab dich im Gefühl
ist es das Beste.«
»Aber bist du sicher? Wo willst du denn wohnen? Treibt dein Dad dich nicht in den Wahnsinn?«
Als Tragödienbetroffene und zukünftige Geschiedene macht man auch die Erfahrung, dass man bei wichtigen persönlichen Entscheidungen von seinen Mitmenschen behandelt wird, als hätte man von nichts eine Ahnung und wäre angewiesen auf die wohlmeinenden Warnungen und skeptischen Gesichter, mit denen sie einen voller Sorge auf alles Mögliche und Unmögliche aufmerksam machen.
»Seltsamerweise nicht, nein«, antworte ich wahrheitsgemäß und lächle unwillkürlich, als ich an ihn denke. »Eigentlich sogar genau das Gegenteil. Obwohl er es in dieser Woche bis jetzt nur einmal geschafft hat, mich Joyce zu nennen. Ich werde bei ihm bleiben, bis das Haus verkauft ist und ich eine andere Wohnung gefunden habe.«
»Diese Geschichte mit dem Mann … mal abgesehen davon, wie geht es dir
wirklich
? Wir haben dich seit dem Krankenhaus nicht mehr gesehen und uns große Sorgen gemacht.«
»Ich weiß, und das tut mir auch leid.« Ich habe mich geweigert, sie zu sehen, als sie mich im Krankenhaus besuchen wollten, und Dad auf den Korridor geschickt, um ihnen zu sagen, sie sollten wieder nach Hause gehen, was er natürlich nicht getan hat. So saßen sie dann ein paar Minuten neben mir, während ich auf die rosa Wand starrte, und schließlich sind sie wieder gegangen. »Aber ich hab mich trotzdem gefreut, dass ihr gekommen seid.«
»Stimmt doch gar nicht.«
Ich denke darüber nach, wie es mir jetzt geht, wie es mir
wirklich
geht. Na ja, sie haben danach gefragt.
»Ich esse Fleisch. Und trinke Rotwein. Ich hasse Sardellen, und ich höre Klassik. Vor allem das
JK
Ensemble
mit John Kelly auf Lyric FM , der keine Kylie spielt, und das ist mir gerade recht. Gestern Abend vor dem Schlafengehen habe ich
›Mi restano le lagrime‹
gehört, Händel,
Alcina
, dritter Akt, fünfte Szene, und kannte den Text auswendig, obwohl ich mich jetzt an kein Wort mehr erinnern kann. Ich weiß plötzlich eine Menge über irische Architektur und noch mehr über französische und italienische. Ich habe den
Ulysses
gelesen und kann bis zum Umfallen daraus zitieren, wo ich vorher noch nicht mal das Hörbuch durchgekriegt habe. Grade vorhin habe ich einen Brief an die Stadtverwaltung geschrieben, dass es nicht nur dem nationalen Erbe, sondern auch der geistigen Gesundheit der Bürger schadet, wenn sie noch so einen hässlichen modernen Klotz in einer Gegend hochziehen, in der ansonsten schlichte, ältere Gebäude stehen. Bisher dachte ich immer, mein Vater wäre der einzige Mensch, der
geharnischte
Briefe schreibt. Und das, wo ich vor zwei Wochen noch ganz heiß drauf gewesen wäre, solche Immobilien an den Mann zu bringen! Heute hab ich mich darüber aufgeregt, dass im historischen Viertel von Chicago ein hundertjähriges Gebäude abgerissen werden soll, und plane schon den nächsten Brief. Wahrscheinlich wundert ihr euch, woher ich überhaupt davon weiß. Tja, ich habe es in der neuesten Nummer der
Art and Architectural Review
gelesen. Die habe ich nämlich abonniert.« Ich muss kurz Luft holen, ehe ich fortfahre: »Fragt mich, was ihr wollt, egal was, und ich weiß die Antwort, ohne dass ich den leisesten Schimmer habe, woher.«
Fassungslos sehen Kate und Frankie einander an.
»Vielleicht kannst du dich jetzt besser konzentrieren, wo du dir nicht mehr ständig wegen Conor und deiner Ehe Sorgen machen musst«, meint Frankie.
Ich lasse mir die Möglichkeit durch den Kopf gehen, aber nicht lange. »Ich träume fast jede Nacht von einem kleinen Mädchen mit weißblonden Haaren. Bei jedem Mal ist sie ein bisschen größer. Und ich höre Musik – ein Lied, das ich nicht kenne. Wenn ich nicht von dem Mädchen träume, dann von Orten, an denen ich nie war, oder von Speisen, die ich nie probiert habe. Und ich bin umgeben von fremden Menschen, die ich aber, scheint’s, gut kenne. Ein Picknick im Park mit einer rothaarigen Frau. Ein Mann mit grünen Füßen. Und Sprinkler, irgendwas mit Sprinklern.
Wenn ich aufwache, muss ich mir immer erst mal klarmachen, dass meine Träume nicht wirklich sind und dass die Wirklichkeit kein Traum ist. Das finde ich fast unmöglich, aber nur fast, weil mein Dad da ist, mit einem Lächeln im Gesicht und Würstchen in der Bratpfanne, weil er eine Katze namens Flauschi im Garten rumscheucht und aus irgendeinem unerfindlichen Grund Mums Foto in der Schublade versteckt. Und nach diesen ersten Morgenmomenten,
Weitere Kostenlose Bücher