Ich habe die Unschuld kotzen sehen
erschreckend gute, wie auch belanglose Unterhal tung mit einem Unbekannten.
Schmerz.
Denke jetzt an ihn, an seine jugendliche Unverbrauchtheit und seine lächerliche Einsamkeit. Heim ist er gefahren. Heim. Frag mich, was Heim zu bedeuten hat. Diese Stadt ist mein Heim. Jeder Winkel, auf dem kein Gebäude steht. Ich bin ein Mensch ohne Anlaufstel le und das schon seit einiger Zeit. Es fallen immer Menschen durch die doch recht breiten Maschen des angeblich so fangsicheren Sozialnetzes. Ich bin einer davon.
Obdachlos. Nutzlos.
Bin aber immer noch in meiner Stadt. München. Diese Stadt hat nix für mich übrig, ich aber immens viel für diese Stadt. Schon längst hätte ich woanders sein können.
New York, Bankok, Hamburg.
Die Welt ist so riesig, aber ich beschränke mich auf dieses kleine Stück keine Heimat.
Hab grad versucht, mir am Ostbahnhof ‘ne Schlafge legenheit zu organisieren. Bin dabei an diesen jungen Mann geraten, den ich solange mit irgendwelchem subtilen Zeug zugelabert habe, bis er mir eins meiner Bilder abgekauft hat.
Habe ihm vorge macht, dass mir das scheiß Bild was bedeutet, um den Preis eventuell hochzutreiben. Tut es aber nicht, aber der Preis ist auch gering geblieben. Aber immerhin ging es hier um zwanzig Euro. Gezählt ha ben nur die zwanzig Mark und die paar Dosen Bier, die es dafür zu holen gab. Sonst nix.
Der Typ war so ‘n naiver Frei und Feingeist, den ich gut über Kunst volltexten konnte. Ich habe mir seine Naivität zu Nutze gemacht. Der wollte auch nur sprechen mit wem und ich war halt grad da. Hab dem eine meiner erfundenen Lebensgeschichten erzählt, nur um an seine, bei ihm sehr fest sitzende Kohle zu kommen.
Ich hätte ihm auch was aufs Maul hauen können, so bedeutungslos war die se Begegnung für mich. Ich weiß nicht, was er nun über mich denkt, aber das ist mir auch völlig egal.
Find nix zum Pennen.
Draußen weht ein Wind, der nach Veränderung riecht und schmeckt, aber es tut sich nix.
Still im Wind. Hab jetzt auch keine Lust mehr, irgendwelche Passanten anzuquatschen. Die reagieren kaum auf mich. Ich sage was, sie gehen weiter. Ich stelle mich vor sie und sage was, sehe sie an, bitte um Hilfe.
Entweder haben sie keine Zeit, kein Kleingeld oder aber sie beschimpfen mich wüst. Dabei sind mir die Beschimpfer noch die ehrlichsten Menschen. Sie sagen mir das, was sie von mir halten, direkt, ohne durch irgendwelche fadenscheinigen Floskeln einem ernsteren Gespräch aus dem Weg zu gehen. Das find ich sehr korrekt von diesen Leuten.
Beschimpft zu werden ist eine der ehrlichsten Arten zu kommunizieren. Ich schimpfe nie zurück, weil die Leute, die mich beschimpfen, ja meistens recht haben oder gewaltig Streit suchen.
Will nur was Warmes.
Ein zärtliches Bett. Morgens eine Waschgelegenheit. Ein kleines Frühstück. Kaffee. Vielleicht ein kleines warmes Mittagessen. Zwischen durch vielleicht ein Gespräch, in dem es nicht um lebenserhaltende Maßnahmen von Obdachlosen geht.
Vielleicht was Intellektuelles über Literatur oder Theater. Auf diesem Gebiet kenne ich mich aus. Oder Musik. Würde gerne mit einer hübschen Frau über Richard Wagner diskutieren, sie danach zum Essen einladen und ihr bei majestätischer, klassischer Musik das Hirn aus dem Schädel ficken.
So bin ich drauf.
Ich habe noch konkrete Träume, die viele in meiner Situation nicht mehr hätten. Auf der Suche nach Leben. Eine Art langfristiges Ziel. Zur Zeit suche ich einen kurzfristigen Schlafplatz, um diese Nacht zu überleben.
Aus dem scheiß Obdachlosenheim haben sie mich auch weggeschickt. Rausgeworfen aus der Sicherheit in die Ungewissheit der Stadt.
Hätte geklaut, sagten sie. Keiner konnte was beweisen. Einer hat das behauptet und ich war draußen.
In der Kälte. Und es wird scheiß Herbst.
Dieser Wind ist dafür ein eindeutiges Zeichen.
Denke an meine Vergangenheit.
Versoffene Jugend.
Gute Partys. Einige Geschichten mit Frauen, von denen mich heute wahrscheinlich keine mehr kennt.
Die übliche Abfolge: Realschule, Ausbildung, Beruf. Gelernter Automechaniker. Nach der Arbeitslosigkeit ein relativ häufiger Sozialabstieg. Zumindest im Kreis der Leute, mit denen ich verkehre. Hab mit 36 nix Neues gefunden. Mietrückstände und raus die Sau.
Heute werde ich hier mit Junkies verglichen, obwohl ich vor fast allen Drogen, außer jetzt mal Alkohol, ‘nen riesen Respekt habe. Ich will nicht sterben, ich will wieder auf die Beine kommen. Aber ich
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