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Ich habe die Unschuld kotzen sehen

Titel: Ich habe die Unschuld kotzen sehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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Song Nummer 1. Bassfrau bester Laune am Rumrocken, Keyboarderin in obszöner Haltung hinter ihrem Instrument, eine Waffe auf ihr Publikum richtend, Sängerin verschmelzend mit dem Mikrofonstativ, ebenfalls in einer Hand eine entsicherte Schusswaffe, die sie bei einigen Textpassagen auf das Publikum, bei anderen auf sich selbst richtet.  
    Die Leute haben schnell gelernt und klatschen gezwungenermaßen heftigst Beifall, nach dem der Song endet.  
     
    Luisa grinst breit, geht zu Eva und küsst sie auf die Wange. Die nächsten Songs werden auch allesamt sehr frenetisch vom Publikum gefeiert, obwohl kein Arsch hier Musik und Text jemals zuvor zu Ohren bekommen hat. Nach ‘ner Dreiviertelstunde haben wir unser Programm durch.  
    Luisa sieht glücklich aus.
    «I have no more respect», schreit meine beste Freundin und schießt sich ihr Gehirn aus dem Schädel, der sich ziemlich schnell und laut hinten öffnet. Dabei steht sie gerade anderthalb Meter von mir weg und ihre ganzen seltsamen Gedankenfetzen landeten auf mir und dem Schlagzeug.
    Jetzt brach vollends Panik und Chaos aus. So ‘n paar Typen nutzten die allgemeine Unruhe und stürmten die Bühne, überwältigten Eva und nahmen ihr die Knarre weg. Schlugen sie nieder und ein fetter Typ begrub Evchens mageren Körper unter sich, um sie bewegungsunfähig zu machen.  
    Franzi bekam auch ziemlich krass eine reingeballert von so ‘nem Body builder-Freak, der auf die Bühne kam. Ich war völlig verwirrt, spürte ebenfalls Schläge an meinem Körper und wurde, glaub ich, vor lauter Stress ohnmächtig.  
     
    Wurde in ‘nem Bullenwagen wach. Franzi und Ev chen waren auch da drin. Alle hatten wir die Hände auf dem Rücken gefesselt. Keine Ahnung, wohin wir fahren, aber der Typ, der uns bewacht, sieht aus, als würde er es auch nicht wissen.  
    Junger Polizist.
     
    Evchen kam in die Psychiatrie, Franzi und ich kamen frei, konnten sehr gut erklären, nix damit zu tun zu haben. Hatten ja auch beide keine Waffen, was die umstehenden Zeugen auch bestätigten.
    Habe bis heute noch keinen Plan, warum diese Sache so gelaufen ist, aber Gestures and Sounds war sehr medienpräsent, zumindest für circa zwei Wochen.  
    Sehr interessant war für die Zeitungsleser natürlich der Prozess gegen Eva.
     
    Als Evchen rauskam, ist sie weggezogen nach Süd deutschland. Die habe ich danach nie mehr gesehen.
    Scheiß Bayern ist weit weg, und sie bemühte sich auch nicht mehr um Kontakt. Vielleicht haben wir noch ca. viermal telefoniert, aber das war‘s auch. Franziska und ich wollten eigentlich weiter Musik machen, kamen aber nie dazu, bis auch Franziska das Dorf verließ. Wegen einer Frau. Sie ging nach England, die Gute. Zwecks Studium und Liebe.  
    Auf Wiedersehen, liebe Freundinnen.
    Auf Wie dersehen.
     
    Ich fand aber später wieder Arbeit, wieder in der Chemiebranche. Exzellent. Überall Gift.
    Vielleicht explodiert hier bald wieder was ...
     
     
     
    Kurz vorm Krieg
     
     
    Kurz vorm Krieg traf ich ihn, jemanden wie Jesus, Mensch geworden als obdachloser Künstler.  
     
    Es waren die Abendstunden eines Tages mit Sehnsucht Eva. Metropole München.
    Das beschissen kal te Gelände des Ostbahnhofs.  
     
    Eva lebt in dieser Stadt.
    Ich dachte, mich in sie verlieben zu können. Kannte sie bislang nur postalisch. Ein Kontaktanzeigenmädchen. Es hat nicht geklappt in dieser beschissenen Stadt. Hier kann ich mich nicht verlieben.  
    Nicht in dieser Stadt.
    Nicht in diese Frau.  
     
    Sie war kurz zuvor noch in einer geschlossenen Psychiatrie. Sie ist verurteilt worden, Maßregelvoll zug. Hat während ‘ner Musikveranstaltung, wo sie auf der Bühne stand, das Publikum mit ‘ner Schuss waffe bedroht.  
    Hat sogar geschossen, die Eva, auf Menschen. Ist dann verhaftet und verurteilt worden. Hatte aber auch ‘ne krasse Kindheit, die Eva, die letztendlich in ‘ner Magersucht gipfelte. Sie ist zu sehr in München und zu sehr in sich, trotzdem fahre ich nicht unverliebt heim.
    Mit diesen Gedanken begegne ich kaltem Wind in Süddeutschland. Zug kommt in drei Stunden.
    Der Wind wehte mich von den Gleisen in die Kata komben der Unterführung.  
    Hunger!
    Kein Geld!
    Das letzte Bier schon ins Urinal gepisst. Für zwei Euro. Im Mc Wash . Jetzt unten. Blick auf die Uhr und gleichzeitig die Erkenntnis. Die Bahn saugt an meinen Synapsen. Neigt sie durchzulallen. Durch gelallte Synapsen.  
    Ein Gedanke. Glaube, gegrinst zu haben.  
    Fertig mit den Menschen. Die Menschen dieser Stadt.

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