Ich habe die Unschuld kotzen sehen
brauche eine scheiß soziale Krücke, die mir hilft, zumindest zeitweise zu stehen.
Auf der Straße wirst du zum Alki. Da hab ich schon einige dran verrecken sehen. Ich will das nicht. Ich will kämpfen, aber wogegen? Wie kann ich für meine Ziele einstehen? Wie kann ich in meiner Situation was anderes haben als Lebenszweifel?
Raus auf die Straße. Hier so neben dem Bahnhof kuschel ich mich manchmal in eine dieser vollgepissten Ecken rein. Nur weil‘s da warm ist und ich den Wind nicht so spüre.
Diesen dreckigen Wind, der mir aus meinem dreckigen Gesicht das Grinsen stiehlt. Da hau ich mich jetzt rein, in diese Ecke. Wie für mich gemacht.
Und der Wind kann mich mal.
Leg mich hin, deck mich zu. Fang an zu onanieren. Denke dabei an meinen letzten Sex vor circa zwei Jahren. Sie war ebenfalls ‘ne Obdachlose. Eine schmutzige, dicke Frau. Aber sie hatte etwas Unbeschreibliches an sich.
Wir lagen in einer Ecke wie dieser hier und hatten uns gut mit Wodka abgefüllt. Sie hatte keinen Schlafsack, also teilte ich meinen mit ihr. Und aus dieser anfänglichen Nähe wurde dann wilder Sex. Richtig guter, nicht nur für mich. Einige Wochen später erfuhr ich, dass sie an ‘ner Überdosis ver reckt sei. Kaputtgefixt, die Gute. Die Straße schafft uns, Baby.
Denke dran, wie ich so in ihr rumwühlte und sie rumschrie wie so ‘n Gespenst. Spritze meine Sacksuppe gegen die Innenseite des Schlafsacks. Fühl mich eigentlich recht gut und bereit zu schlafen. Windgeschützt und sexuell mit eigener Hand befriedigt. Halb besoffen.
Gedankenverloren.
Stürze mich in traumlosen Schlaf.
Als ich erwache, stinkt es. Es hat angefangen zu regnen. Warmer Regen. Seltsam. Jetzt erst erkenne ich, dass mich irgendein Typ anpinkelt.
Sehe ’ne gan ze Horde Typen um mich rumstehen, wovon mich tatsächlich einer anpisst. Ekel mischt sich schnell mit Angst. Gegen diese Gruppe Idioten muss ich diplomatisch vorgehen.
Cool bleiben.
Zumindest der Versuch davon.
Die Typen nennen mich mal Penner, stinkendes Mistschwein oder asozialer Drecksack, und haben alle Recht. Erstaunt sind sie nur darüber, dass ich nur daliege und mich anpissen lasse. Sie rechneten wohl mit einer anderen Verhaltensweise. Jetzt gibt’s ‘nen heftigen Fußtritt vom Urinmann in meine Eingeweide.
Ich schreie vor Schmerz, bemühe mich aber, cool zu bleiben und keine weitere Reaktion zu zeigen. Reaktionen können einen hier das Leben kosten.
Die angetrunkene Meute lacht lauthals. Das sind circa sieben Leute, soweit ich das von meiner Lage aus beurteilen kann. Mit allen werd ich nie fertig. Also besser passiv bleiben und erst mal einstecken.
Für die Schläger ist das wahrscheinlich seltsam, auf einen sprachlosen, passiven Wehrlosen einzu schlagen und zu treten.
Aber vielleicht sind sie auch einfach dran gewöhnt und dies ist eine Routinesituation für diese Leute. Jetzt fangen nämlich alle damit an, mir die Eingeweide aus dem Leib zu treten. Dazu haben sie mich aus meiner Schlafecke rausge zogen und um mich einen Kreis gebildet und treten nun von allen Seiten meinen schwachen Körper zu einem Haufen Matsche.
Jetzt würde ich gern ohnmächtig werden.
Geht aber nicht. Spüre Stiefel am Kopf. Überall mein warmes Blut.
Die töten mich.
Langsam kommt dieser Gedanke und schnell gewöhne ich mich daran. Sterben soll ich. Nun gut, wenn denn dies meine Bestimmung ist.
Auf Rettung warte ich schon lang nicht mehr und diesen Tod zu sterben, ist zumindest spektakulär.
Dann sehe ich dieses seltsame weiße Licht, von dem immer alle erzählen, die mal kurz tot waren, aber zurückgekommen sind in diese verrückte Welt.
Ich gehe ein paar Schritte und mir wird richtig geil warm. Irgendjemand spielt irgendwo Gitarre und singt einen Nirvana Song.
Come as you are .
Jetzt kann ich ihn sehen und es ist Kurt Cobain selbst. Er lächelt, spielt und singt weiter. Ich grüße kurz, hab aber den Antrieb weiterzugehen. Kurt nickt mir auch zu, als ob er ein alter Bekannter wäre.
Ich besaß früher eine CD von ihm und seiner Band.
Jetzt bin ich selbst im Nirvana. Und es ist geil. Weiß nicht wieso, aber ich spüre absolutes Wohlbehagen.
Nach einigen Schritten sehe ich nur noch weiß. Weißer Nebel. Und hinter einer sich gerade auflö senden Nebelschwade steht eine farbige, nackte Frau vor mir. Sieht mich lüstern an, lächelt. Hat die Fi gur einer Ringerin, aber so was von Aura.
Ihre reine Haut
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