Ich habe einen Namen: Roman
liebtest, Mama, und ich wollte sie auch
lieben.«
»Was ist mit den
Witherspoons geschehen?«, fragte ich.
Sie hatten May
aufgespürt. Aber die Familie, bei der sie untergekommen war, bat einen
Abolitionisten namens Granville Sharpe um Hilfe, der den Witherspoons »mit
scharfen Worten« klargemacht habe, dass sie kein Recht dazu hätten, einen Neger
festzunehmen, der sich aus ihrem Besitz befreit habe. Er sagte, er werde sie
vor Gericht demütigen, wenn sie es dennoch versuchten. Die Witherspoons zogen
nach Montreal, um eine Handelsfirma zu gründen, und May blieb in London.
Am nächsten Tag nahm
mich May mit in die Schule, in der sie unterrichtete. Reporter folgten uns und
sahen stundenlang zu, wie ich den Tag mit dreißig afrikanischen Kindern
verbrachte, die lesen und schreiben lernten. Die Bedingungen waren primitiv,
und sie hatten nur wenige Mittel, aber May sagte, sie seien immer noch weit
besser dran als viele andere. Etliche weiße Kinder gingen nicht mal in die
Schule. Nachdem die Zeitungen über meinen Besuch berichtet hatten, musste ich
jede Woche in eine Schule, Bibliothek oder Kirche. Ich sprach zu Schwarzen und
zu Weißen und erzählte jedem, der es hören wollte, von meinem Leben. Je mehr
Menschen die Wirklichkeit erfuhren, desto mehr würden für die Abschaffung der
Sklaverei stimmen.
Als die
Schauder in mein Fleisch zurückkehrten, hatte niemand in London Chinarinde.
Fast trug mich das Fieber davon, aber May pflegte mich über Monate. Mit Suppe
und Brot, Suppe und Brot, Suppe und Brot, und manchmal auch mit etwas Reis und
ein bisschen Hammelfleisch, wenn ich es denn unten zu halten vermochte. Ich sah
immer mehr aus wie ein Skelett, hatte aber einen Grund zu leben, und so kämpfte
ich mich ein weiteres Mal zurück.
May und ich zogen in
eine möblierte Unterkunft, die von den Abolitionisten bezahlt wurde. Für
fünfzehn Pfund jährlich mieteten sie zwei hübsche Räume für uns und stellten
einen Koch an, der uns versorgte.
1805 besuchte uns John Clarkson
in unserem neuen Heim und brachte mir eine neue Afrika-Karte mit. Die Sache der
Abolitionisten entwickle sich stetig weiter, sagte er, und das Komitee sei mir
unendlich dankbar für meine Hilfe.
»Gibt es etwas, was Sie
brauchen?«, fragte er.
Ich bat May, uns einen
Moment allein zu lassen.
»Sie werden mich nicht
mehr lange ernähren müssen«, erklärte ich Clarkson, »aber ich bitte Sie, sich
um meine Tochter zu kümmern.« Ich nahm ihm das Versprechen ab, dass sich die
Abolitionisten bis zu Mays fünfundzwanzigstem Geburtstag um sie kümmern und
dafür sorgen würden, dass sie die zusätzliche Ausbildung bekam, die sie sich
wünschte.
»Sie ist eine ungeheuer
fähige junge Frau, und wir werden unser Bestes tun, ihr eine solide Grundlage
für ihr Leben zu geben«, sagte Clarkson.
»Gut«, sagte ich.
»Ich hoffe, das ist das
letzte Geschäft zwischen uns«, sagte er, »denn Sie wissen wirklich zu handeln.«
Ich lächelte. »Das
liegt mir im Blut.«
Als ich die
Abolitionisten drängte, Mays Schule zu unterstützen, taten sie es ebenfalls.
Kurz darauf richteten wir ein wöchentliches Kirchen-Essen für mittellose
Schwarze ein, und die Abolitionisten übernahmen auch die Kosten dafür. Aber als
es um ihren Parlamentsantrag ging, wollten sie sich auf den Handel mit Sklaven
beschränken.
»Ein Schritt nach dem
anderen«, erklärte mir John Clarkson.
»Hüpft mit beiden
Beinen«, sagte ich. »Kinder können das, und ihr auch.«
Mays Schule vergrößerte
sich, um vierzig und dann fünfzig zusätzliche Schüler aufzunehmen. Es ging ihr
so gut, und sie erhielt so viele Sach- und Geldspenden von den Abolitionisten,
dass bald auch weiße Schüler kamen. May benannte die Schule in »Aminata
Academy« um, und ich wurde ihre große Djeli. Alle Schüler wussten, dass das
Wort Geschichtenerzählerin bedeutete, und sie freuten sich auf das, was ich
ihnen jeden Freitagmorgen zu berichten hatte. Ich fing jedes Mal auf die
gleiche Weise an. Ich entrollte eine Weltkarte und legte meinen Finger auf
einen Punkt, den ich darauf eingezeichnet hatte, mein Heimatdorf Bayo. Mit
einem anderen deutete ich auf London und sagte: »Dort bin ich geboren, und hier
sind wir jetzt, und ich werde euch erzählen, was ich unterwegs erlebt habe.«
Endlich bin
ich fertig. Meine Geschichte ist erzählt. Meine Tochter schläft im Zimmer
nebenan. Erst habe ich mich dagegen gewehrt, nachts allein zu sein, aber May
sagt, dass es jetzt einen Mann in ihrem Leben gibt und sie ein
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