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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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heran, ergriff meine Hand und fragte, ob es stimme, dass
ich »frisch aus Afrika« komme. Um Befragungen abzuwehren, nahm Wilberforce
meinen Arm und führte mich zu einem Tisch, wo eine junge Bedienstete Tee und
Kekse verteilte.
    »Beachten Sie das Fehlen
von Zucker, aus reiner Hochachtung für Sie«, flüsterte Wilberforce.
    Er hatte recht. Auf dem
Tisch standen nur drei Töpfe Honig. Die Bedienstete löffelte etwas davon in
meinen Tee. Es war ein komisches Gefühl, von einer weißen Person bedient zu
werden, und ich gab mir alle Mühe, dass die Tasse nicht auf der Untertasse
klapperte.
    Ein Mann stellte sich
als Adjutant der königlichen Familie vor und forderte mich auf, mich ins
Gästebuch einzutragen. Während er genauestens zusah, schrieb ich: Für eine Frau, die aus der Freiheit in die Sklaverei und wieder
zurück gelangt ist, bedeutet es eine wahre Ehre, vom König und der Königin
empfangen zu werden, und es ist meine Hoffnung, dass am Ende alle frei sein
werden.
    Der Adjutant starrte
mich mit offenem Mund an, als hätte er gerade ein Zebra ein Buch lesen sehen.
    Wilberforce erhielt das
Signal, auf das er gewartet hatte, und entschuldigte uns bei dem Adjutanten,
stellte meinen Tee auf einen Tisch und führte mich durch einige Türen in einen
anderen Raum.
    Der König und die
Königin saßen auf breiten roten Stühlen. Ihre ausladenden Gewänder ergossen
sich auf den Boden, dennoch erhaschte ich einen kurzen Blick auf ein Stück
poliertes Gabanholz unter dem Arm des Königs. Ich fragte mich, ob er wusste,
dass seine Armlehne aus dem roten Holz meiner Heimat gemacht war.
    »Langsam und bestimmt«,
flüsterte Wilberforce. »Einen Knicks, und bieten Sie nicht von sich aus Ihre
Hand an.«
    Wir bewegten uns zuerst
auf Königin Charlotte Sophia zu.
    Sie war es, die mich
besonders interessierte, wollte ich doch mit eigenen Augen sehen, ob sie eine
Tochter Afrikas zu sein schien. Auf den Porträts, die ich kannte, sah sie
grazil aus und hatte ein Porzellangesicht. Vor mir saß jedoch eine Frau mit
breiter Nase, vollen Lippen und einer weit üppigeren Haut als auf den Bildern
der Maler.
    Königin Charlotte hielt
mir ihre behandschuhte Hand hin, und ich schüttelte sie.
    »Willkommen, Aminata«,
sagte die Königin. »Willkommen in England.«
    »Eure Hoheit«, sagte
ich.
    Es rührte mich, dass
sie sich die Mühe gemacht hatte, sich meinen richtigen Namen zu merken. Wenn
ich mich nicht täuschte, war sie die erste weiße Person, die mich gleich damit
begrüßte. Aber vielleicht war sie ja gar keine Weiße. Jedenfalls sagte ich mir,
wenn die Königin von England meinen Namen aussprechen könne, könne es auch der
Rest des Landes.
    »Ich fühle mich geehrt,
da ich schon seit so vielen Jahren von Euch höre«, sagte ich.
    »Das ist eine ziemliche
Feststellung angesichts der Weite ihrer Reisen.«
    Die Königin schenkte
mir ein sprödes Lächeln, und ich las den Wunsch in ihren Augen, das Gespräch zu
beenden.
    »Ich habe veranlasst,
dass sie ein kleines Geschenk aus meiner Bibliothek bekommt«, sagte sie.
    »Vielen Dank«,
erwiderte ich. Ich wollte der Königin von England erklären, wie sehr ich mir
wünschte, dass ihr Land voranging und den Handel mit Männern, Frauen und
Kindern beendete, doch ein Diener ergriff meinen Arm und zog mich sanft, aber
unnachgiebig ein paar Schritte zur Seite und erlaubte der Königin, Wilberforce
anzusprechen.
    Damit stand ich vor
    König George  III. Ich machte einen Knicks. Er nickte. Ich wartete, wie man mir gesagt hatte, dass
der König von England seine Hand ausstreckte oder sprach, aber er tat beides
nicht. Er nickte mehrere Male und öffnete den Mund, um zu sprechen, drehte den Kopf
ganz leicht, und seine Augen öffneten sich weiter. Er schien nicht zu wissen,
was er hatte sagen wollen. Oder wer ich war. Oder wo wir waren.
    Ich sah ruhig in das
große, runde, rötliche Gesicht und die glasigen Augen des Mannes, der die
größte Sklavennation der Welt beherrschte, und begriff, dass es zwischen uns
kein Gespräch geben würde. Ich wurde weggeführt, ohne darüber sonderlich
bekümmert zu sein. Soviel ich wusste, stand der König kurz davor, einen seiner
Anfälle zu erleiden. Ich hatte ausführlich davon gelesen. Die Bank von England
hatte vor Jahren sogar eine Münze herausgegeben, um die geistige Gesundung des
Königs zu feiern. Ich fragte mich, was mich die Menschen in meiner Heimat wohl
fragen würden, wenn sie wüssten, dass ich den Toubabu
faama getroffen hatte, den
großen

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