Ich habe einen Namen: Roman
Häuptling Englands. Nie im Leben würden sie glauben, dass er an einer
Krankheit des Kopfes litt und sich eine afrikanische Königin ausgesucht hatte.
Als ich den Buckingham
Palace verließ, drückte mir derselbe Adjutant, der mir das Gästebuch gezeigt
hatte, einen kleinen, ledergebundenen Band in die Hand. Die Königin von England
schenkte mir Über Poesie: Eine Rhapsodie von Jonathan Swift.
Die Aussage
im Parlament und der Besuch im Buckingham Palace hatten mich Kraft gekostet.
Ich brauchte Ruhe, Abgeschiedenheit und Zeit für meine größte Freude, das
Lesen. So las ich gerade ein weiteres Mal Swifts Buch, als Clarkson leise an
meine Tür klopfte.
»Das ist jemand, der
Sie sehen möchte.«
»Aber ich bin heute
Abend nicht gekleidet, um einen Besucher zu empfangen«, sagte ich.
»Ich glaube nicht, dass
der Dame Ihr Aufzug wichtig ist. Sie sagt, sie hat lange auf diesen Moment
gewartet.«
Und dann sah ich eine
afrikanische Frau, eher noch ein Mädchen, in mein Zimmer treten. Die Wangen
glatt wie Ebenholz. Ohne Monde oder andere Zeichen, und doch sah sie aus wie
jemand aus meinem Heimatdorf Bayo.
»Es tut mir leid«,
sagte ich, und mir war leicht schwindelig. »Ich weiß, ich habe dich heute im
Regen stehen sehen, aber ich hatte nicht die Zeit, dich zu begrüßen.«
»Der Regen hat mir
nichts ausgemacht. Was bedeuten schon ein paar Stunden Schlangestehen? Ich habe
Jahre auf dich gewartet, Mama.«
Sie lief zu mir und
umarmte mich so heftig, dass wir fast umgefallen wären. Es war die Umarmung,
für die ich fünfzehn Jahre gebetet hatte. Wir wiegten uns hin und her und
klammerten uns aneinander. Ich konnte nichts sagen, und so drückte ich sie an
mich, bis meine Arme müde wurden.
Wir trennten uns weit
genug, um einander in die Augen sehen zu können, hielten uns aber immer noch
bei den Händen.
May und ich
blieben zwei volle Tage zusammen. Wir schliefen im selben Bett, aßen am selben
Tisch und gingen Hand in Hand die Themse entlang. Der bloße Anblick des
Mädchens gab mir neuen Lebenswillen. Jede Stunde strichen ihre Lippen über
meine Wangen, und ich wollte leben und leben und sie ansehen und ihre Schönheit
in mich saugen, wollte mein eigen Fleisch und Blut noch lange lieben können.
Ich musste ihr nicht
viel darüber erzählen, was ich erlebt hatte, schließlich hatte sie die Berichte
in den Zeitungen gelesen. Ich selbst aber erfuhr nach und nach, wie es ihr
ergangen war.
Die Witherspoons hatten
ihren Namen May nie geändert oder vor ihr verborgen, dass sie im
neuschottländischen Shelburne »adoptiert« worden war, wie sie es nannten.
Allerdings hatten sie behauptet, May gerettet zu haben, nachdem sie von ihrer
afrikanischen Mutter verlassen worden sei.
Aber May war alt genug
gewesen, um sich an unser gemeinsames Leben zu erinnern, und hatte die
Geschichte von Beginn an infrage gestellt. Die Witherspoons hatten sie von
Shelburne nach Boston mitgenommen und waren von dort gleich nach England
weitergesegelt. Zuerst waren sie ganz vernarrt in sie gewesen, wurden dann aber
ungeduldig und ungehalten, als May sich weigerte, mit ihren Fragen nach mir
aufzuhören.
»Ich hatte einen
fürchterlichen Dickkopf«, sagte sie, »und sie mochten meine Wutanfälle nicht,
in denen ich nach meiner Mutter schrie.«
Die Witherspoons
beschäftigten May als Hausmädchen. Nachts wurde sie in ihrem Zimmer eingeschlossen
und durfte auch tagsüber nicht allein aus dem Haus. Sie hatte lesen und
schreiben gelernt, wie man bei Tisch bediente und andere täglich anfallende
häusliche Aufgaben erfüllte. Eine Sklavin war sie nie genannt worden, aber sie
wurde auch nicht bezahlt.
Im Alter von elf Jahren
wollte sie freigelassen werden, doch die Witherspoons sagten Nein. So schob sie
sich eines Nachts aus ihrem Schlafzimmerfenster, plumpste auf die Straße und
rannte, bis ein schwarzer Priester sie aufhielt und fragte, warum sie denn
barfuß durch die Straßen renne. Der Priester und seine Frau nahmen sie auf, bis
sich in der Gemeinde eine Familie fand, bei der sie unterkam. Die Frau putzte
Häuser, und der Mann verkaufte Zeitungen, und sie steckten May in ein Zimmer
mit ihren eigenen beiden Kindern. Drei Jahre lang arbeitete May mit der Frau
und putzte, bis sie eine Stelle als Lehrerin für die armen Schwarzen in London
fand.
»Du konntest lesen und
schreiben«, sagte ich.
May sagte, sie erinnere
sich noch daran, wie ich ihr Wörter aufgeschrieben hätte, die sie nachschreiben
sollte. »Ich wusste, wie sehr du Wörter
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