Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
wünschen uns Gottes Segen zum Abschied. Rührend.
Das Pilgerbüro ist dann ums Eck neben der Kathedrale genauso schlecht ausgeschildert wie beim letzten Mal. Die Pilgerurkunden als Beweis der Heldentat für den heimatlichen Bilderrahmen gibt es nach kurzem Anstehen im Treppenhaus des Pilgerbüros. Dem schriftliche Beweis für die Latscherei - der Compostela - geht dabei ein kleines traditionelles Verhör voraus: Eingehend werden die Stempel und Datumseinträge im Pilgerpass begutachtet. „Ja, ich bin in St. Jean gestartet, ja zu Fuß - jeden einzelnen Schritt“, wie ich mir anzumerken gestatte. Es gibt den Abschlussstempel und die Compostela. Da kann man jetzt schon ein bisschen stolz drauf sein.
Draußen vor der Kathedrale treffen wir zu meiner Freude die Südafrikanerin Jennifer wieder.Wir verabreden uns für abends und besorgen uns jetzt unser letztes Einlauf- und damit auch Siegerbier mit Blick auf die Kathedrale. Der Platz wird von drei monumentalen Bauten eingerahmt. Neben der Kathedrale stehen hier ein alter Palast, der heute ein Edelhotel der „Parador“-Kette beherbergt und ein weiterer Palast, in dem das Galicische Regionalparlament residiert. Dazwischen ist viel Platz für herumlagernde, erschöpft glückliche Pilger und neugierige Tourigruppen.
Das Abendessen wird mit Leonie und Jennifer noch einmal eine lustige und nachdenkliche Revival-Veranstaltung. Was haben wir in den vergangenen Wochen nicht alles erlebt und erfahren. Immer wieder treffe ich noch auf alte Pilgergesichter der vergangenen Wochen. Schade, dass ich das Finale mit Martin und Myra, meinen lieben Kanadiern, nicht feiern kann, aber das gehört dazu. Man trifft sich und man verliert sich hier, wo so viele Charaktere und Planungen aufeinandertreffen. Ich habe eine ganze Reihe Mailadressen eingesammelt und habe eine Menge Fotos zu verteilen.
Eine sehr schöne Camino-Anekdote hat Jennifer zu erzählen: Noch recht am Anfang ihres Weges beschloss sie mit schmerzenden Schultern, dass sie zuviel Gepäck dabei hatte. So ließ sie in einer Herberge rund ein Kilo an überflüssigen Klamotten einfach zurück. Vielleicht kann jemandetwas davon gebrauchen, dachte sie sich. Ein von Natur aus sparsames schottisches Paar dachte am nächsten Morgen, dass sie die Sachen aus Versehen vergessen haben musste.
Die herzensguten Menschen packten das Kilo also zusätzlich in ihre Rucksäcke und hofften, die vermeintlich schwer vergessliche Südafrikanerin bald wiederzusehen. Eine geschlagene Woche schleppen die braven Pilger den Kram mit sich herum, bis sie aufgeben und alles entsorgen. Die Schotten treffen Jennifer erst gestern in Santiago wieder - und erfahren von dem Missverständnis.
Allerdings wird auf dem Camino beim täglichen Ein- und Ausräumen der Habseligkeiten an immer wieder neuen Orten eine Menge vergessen. Das traurigste Schicksal hatte eine ältere Dänin, die ihre einzige Brille in einer Herberge liegengelassen hatte. Mittags, nach vielen Kilometern erst, fiel ihr das Missgeschick auf. Sie telefonierte mit der Herberge, bekam die Information - oder verstand es zumindest so, dass die Brille gefunden war, und machte sich auf den ärgerlichen Rückmarsch. Doch dann kam es noch schlimmer: Am Startpunkt des Morgens angekommen, wurde sie bitter enttäuscht - die Brille war nun angeblich doch verschwunden. Auch die Pilgerin, die ihren Pilgerausweis mit den vielen gesammelten Stempeln verschusselt hatte, war ein bedauernswertes Beispiel für ein bitterböses Pilgerschicksal.
Zwischen Pilgerabenteuern und -latein sind natürlich auch wieder einmal die Füße und ihr jeweiliger Zustand Gesprächsthema. Jennifer ist der Überzeugung, dass sie niemandem mehr ihre Füße zeigen könne - sie hat Socken in den Sandalen an. „Sie sehen grauenvoll aus“, räumt sie ein. Ich schlage vor, wettbewerbsmäßig Fotos bei Youtube einzustellen - als hässlichste Füße jen- und diesseits des Caminos.
Morgen ist spanischer Nationalfeiertag und die Stadt ist heute Abend voll mit lärmenden und herumspazierenden Menschen. Doch für längere Sitzungen im Straßencafé sind wir einfach alle zu müde. Die Erschöpfung nach dem Ende des Weges und das Abfallen der Anspannung wird mir bewusst. Es folgt der herzliche Abschied von Leonie, die morgen für zwei Tage noch mit dem Bus nach Finisterre fährt - ans 100 Kilometer entfernte „Ende der Welt“ an der Atlantikküste. Sie hat wieder feuchte Augen. Aber vielleicht springe ich über meinen hollandkritischen
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