Ich habe mich verträumt
Antiquitätenmärkten oder Schlachtfeldern, ausschweifender Sex auf einem Bett, auf dem die Sonntagsausgabeder New York Times verstreut lag. Später ein paar Kinder. Lange Sommerurlaube am Cape Cod oder Fahrten quer durchs Land. Rhabarber, Rhabarber, bla, bla, blubb.
Und während ich so dasaß und meine Schwester bewunderte, merkte ich plötzlich, dass sich selbst damals schon, vor Andrews Geständnis, all diese Vorstellungen ein wenig … schwach angefühlt hatten. Ich hatte mir diese Zukunft mit einer solchen Entschlossenheit vorgestellt, dass ich hätte misstrauisch werden müssen. Es war zu schön gewesen, um wahr zu sein.
„Wie war denn dein Ausflug in die große Stadt, Grace?“, fragte Natalie unvermittelt.
Ich sah zu Margaret, die natürlich bereits informiert war. „Tja, ich muss euch leider mitteilen, dass Wyatt und ich …“ Ich machte ein effektheischende Pause, um angemessenes Bedauern auszudrücken. „…getrennte Wege gehen.“
„Was?“, empörten sich Nat und Mom im Chor.
Ich seufzte. „Ach, er ist schon ein toller Mann, aber … er arbeitet einfach zu viel. Ich meine, ihr habt ihn ja noch nicht einmal kennenlernen können, oder? Was sagt das darüber aus, was für ein Ehemann er sein würde?“
„Ja, das wäre schlecht“, kommentierte Margaret. „Außerdem fand ich ihn gar nicht sooo toll.“
„Sei still, Margaret.“ Mom setzte sich neben mich, um eine Runde mütterlichen Trost zu spenden.
„Ach, Grace“, meinte Natalie und biss sich auf die Lippe. „Er klang so wunderbar. Ich … ich dachte, du wärst schrecklich verliebt. Du hattest ja sogar schon mal Heirat erwähnt.“
Margaret verschluckte sich fast. „Tja“, sagte ich, „ich will eben keinen Ehemann, der sich nicht richtig um die Kinder und mich kümmern kann. Es war schon lästig, dass er ständig ins Krankenhaus gerannt ist.“
„Aber er hat Kindern das Leben gerettet, Grace!“, protestierte Natalie.
„Ja.“ Ich trank noch einen Schluck Margarita. „Das stimmt. Und deshalb ist er ein großartiger Arzt – aber nicht unbedingt ein großartiger Ehemann.“
„Vielleicht hast du recht, Schätzchen. Die Ehe ist so schon anstrengend genug“, sagte Mom. Ich versuchte, das Bild von letzter Nacht zu verdrängen, aber es war mir wie auf die Innenseite der Lider tätowiert. Mom und Dad, wie sie … Würg!
„Wie geht es dir damit, Grace?“, erkundigte sich Margaret, wie ich sie auf der Fahrt hierher gebeten hatte.
„Ach, weißt du … eigentlich ganz gut“, antwortete ich munter.
„Du hast kein gebrochenes Herz?“, hakte Natalie nach, die sich als weiße Wolke vor mich hingekniet hatte.
„Nein. Nicht einmal ein kleines bisschen. Es ist besser so. Und ich glaube, wir werden Freunde bleiben“, sagte ich, worauf Margaret mir ihren Ellbogen zwischen die Rippen stieß. „Vielleicht auch nicht. Vielleicht zieht er nach Chicago. Also werden wir sehen. Mom, wie kommst du mit deinen Kunstwerken voran?“ Ein Thema, das mit Sicherheit von meinem Liebesleben ablenkte.
„Allmählich wird es ein bisschen langweilig“, erwiderte Mom. „Ich überlege, in den männlichen Bereich zu wechseln. Die ganzen Schamlippen und Eierstöcke habe ich mittlerweile satt. Vielleicht ist es wieder mal Zeit für einen guten altmodischen Penis.“
„Warum nicht Blumen, Mom? Oder Häschen … oder Schmetterlinge? Müssen es denn Genitalien sein?“, wollte Margs wissen.
„Wie kommen Sie hier voran?“ Ladenbesitzerin Birdie kam mit einem weiteren Kleid auf dem Arm herbeigerauscht. „Oh, Natalie, Liebes, Sie sehen fantastisch aus! Wie auf einem Werbefoto! Wie ein Filmstar! Eine Prinzessin!“
„Vergessen Sie nicht die griechische Göttin“, fügte Margaret hinzu.
„Ja, Artemis, aus Schaum geboren“, stimmte Birdie zu.
„Das wäre dann Aphrodite“, kommentierte ich.
„Oh, Faith, hier ist Ihr Kleid“, sagte Birdie und reichte mir ein roséfarbenes, bodenlanges Kleid.
„Grace. Ich heiße Grace.“
„Probier’s an!“, forderte Natalie und klatschte in die Hände. „Die Farbe wird dir hervorragend stehen, Grace!“
„Ja, hochverehrte erste Brautjungfer. Ihr seid an der Reihe, hübsch zu werden“, brummte Margaret.
„Hey, komm darüber hinweg“, erwiderte ich und stand auf. „Zieh dein eigenes Kleid an, Margaret, und benimm dich.“
„Deins ist gleich hier“, sagte Natalie und sah zu Birdie, die Margs ein Kleid reichte, das noch ein paar Nuancen heller war als meines. Margaret und ich verschwanden hinter zwei
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