Ich habe mich verträumt
meine Gedanken von der Musik vertreiben, lachte, wirbelte herum und gab meine Tanzkünste zum Besten, wofür Cambrys Freunde mich angemessen bewunderten.
Während mir die Musik in den Ohren dröhnte und ich mit einem gut aussehenden Kerl nach dem anderen Salsa tanzte, spürte ich Glück und Geborgenheit. Es war schön, einmal nicht bei meiner Familie zu sein, schön, nicht nach Liebe zu suchen, schön, einfach nur Spaß zu haben. Guter alter Wyatt Dunn! Diese letzte Verabredung war mit Sicherheit unsere beste.
Als Julian nach hinten ging, um die Musik zu wechseln, folgte ich ihm. „Das ist toll!“, schwärmte ich. „Sieh dir all die Leute an! Du solltest das regelmäßig veranstalten. Schwulen- und Singles-Tanznacht.“
„Ich weiß“, erwiderte er grinsend und blätterte durch seine Playlisten. „Was sollen wir als Nächstes spielen? Es ist schon zehn Uhr. Die Zeit vergeht wie im Flug! Vielleicht etwas Langsameres – was meinst du?“
„Klingt gut. Ich bin absolut fertig. Das ist definitiv anstrengender als das Tanzen mit den Oldies. Meine Füße tun weh.“ Julian schmunzelte. Er sah so unverschämt gut aus wie immer, dazu aber glücklicher. Der Schatten, der ihn auf so tragische Weise anziehend machte, schien sich gelichtet zu haben. „Wie läuft es mit Cambry?“, erkundigte ich mich.
Julian wurde rot. „Oh, sehr gut“, gestand er schüchtern. „Wir haben uns schon zwei Mal getroffen. Könnte sein, dass wir uns bald küssen.“
Ich drückte seinen Arm. „Das ist schön.“ „Fühlst du dich nicht … vernachlässigt?“
„Nein! Ich freue mich für dich! Es hat ja lang genug gedauert!“
„Ich weiß. Und, Grace, du …“ Er sah auf– und machte plötzlich ein entsetztes Gesicht. „Oh nein, Grace! Deine Mutter!“
„Was?“ Sofort stellte ich mir das Schlimmste vor: Mémé war gestorben. Dad hatte einen Herzinfarkt erlitten. Mom suchte mich, um mir die schlimme Botschaft zu überbringen. Bitte, nicht Nat oder Margs, flehte ich innerlich.
„Sie tanzt“, sagte Julian und reckte den Hals. „Mit einem von Cambrys Freunden. Tom, glaube ich.“
„Sie tanzt? Ist mein Vater auch hier?“ Ich stand hinter Julian und spähte ihm über die Schulter.
„Ich sehe ihn nicht. Vielleicht war ihr einfach danach, zu tanzen“, sagte er. „Oh, sie kommt in unsere Richtung. Versteck dich, Grace! Eigentlich bist du ja in New York!“
Bevor meine Mutter mich entdecken konnte, schlüpfte ich in Julians Büro. Erwachsenes Verhalten? Nein. Aber warum eine schöne Nacht ruinieren, wenn ich sie durch simples Verstecken retten konnte? Ich drückte mein Ohr gegen die Tür, um besser hören zu können.
„Hallo Nancy!“, sagte Julian betont laut. „Wie schön, Sie zu sehen!“
„Hallo Julian, mein Bester“, antwortete Mom. „Oh, ist das nicht schön hier? Ich bin zwar kein Single, aber ich hatte einfach Lust zu tanzen. Ist das in Ordnung?“
„Aber natürlich“, erwiderte Julian mit Nachdruck. „Sie werden zwar ein paar gebrochene Herzen zurücklassen, aber bleiben Sie ruhig, so lange Sie mögen, und amüsieren Sie sich. Sollen wir tanzen?“
„Eigentlich würde ich gern mal eben telefonieren, geht das?“
„Von meinem Telefon aus? In meinem Büro?“ Julian schrie es fast.
„Ja, mein Guter. Wäre das in Ordnung?“
„Äh, ja, sicher! Natürlich können Sie von meinem Büro aus telefonieren!“
Blitzartig sprang ich von der Tür weg, riss die nächste Schranktür auf, sprang hinein und zog die Tür hinter mir zu. Gerade noch rechtzeitig!
„Danke, Julian. Und jetzt gehen Sie. Los! Ich will Sie nicht von Ihren Gästen fernhalten.“
„Aber sicher, Nancy. Äh … lassen Sie sich Zeit.“ Ich hörte, wie die Tür geschlossen wurde, nahm den Geruch von Julians Lederjacke wahr. Hörte das Piepsen der Telefontasten, als meine Mutter jemanden anrief. Wartete mit klopfendem Herzen.
„Die Luft ist rein“, flüsterte sie und legte wieder auf.
Die Luft ist rein? Rein wofür? Für wen? Ich war versucht, die Tür einen Spalt zu öffnen, wollte mich aber nicht verraten. Schließlich war ich nicht nur nicht mit meinem Arztfreund in New York, ich versteckte mich zudem in einem Schrank und belauschte meine Mutter. Die Luft war rein. Das klang nicht gut.
Mist. Ich wusste, dass meine Eltern nicht die harmonischste Ehe führten, aber das war schon immer so gewesen. Normal. Hatte Mom noch einen anderen? Betrog sie Dad? Mein armer Vater! Wusste er Bescheid?
Unentschlossen blieb ich, wo ich war, einen
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