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Ich habe mich verträumt

Ich habe mich verträumt

Titel: Ich habe mich verträumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristan Higgins
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ehrenamtlich in einem Seniorenheim, da gebe ich Tanzkurse mit meinem Freund Julian, der Tanzlehrer ist. Manchmal lese ich ihnen auch vor, also denen, die nicht selbst lesen können …“
    „Sind Sie religiös?“, wollte Leon wissen.
    Ich überlegte. Ich würde mich selbst eher als spirituell bezeichnen, denn als religiös. „Irgendwie schon. Ja. Ich meine … ich gehe zur Kirche … also, einmal im Monat oder so, und ich …“
    „Ich frage mich, welche Gefühle Sie für Gott hegen.“
    Ich blinzelte. „Gott?“ Leon nickte. „Na ja, Gott ist … also … Er ist großartig.“ Ich stellte mir vor, wie Gott gerade die Augen verdrehte. Komm schon, Grace. Ich sagte: „Es werde Licht“, und ka-bling! Es wurde Licht! Fällt dir da nichts Besseres ein als „Er ist toll“, um Gottes willen? Ha, hörst du das? Um Gottes willen? (Ich hatte mir Gott immer mit sehr viel Humor vorgestellt. Den musste er doch wohl haben, oder?)
    Leon kniff seine (fanatisch?) leuchtenden blauen Augen zusammen. „Ja, er ist großartig. Sind Sie Christ? Haben Sie Jesus Christus als Ihren persönlichen Retter angenommen?“
    „Na ja … klar.“ Gut, ich konnte mich nicht erinnern, dass irgendjemand in meiner Familie (Nachkommen der Mayflower-Passagiere, Sie erinnern sich?) jemals den Begriff persönlicher Retter benutzt hätte … Wir waren Kongregationalisten und sahen vieles eher philosophisch. „Jesus ist auch … gut.“ Nun sah ich Jesus vor mir, wie er, am Kreuz hängend, den Kopf hebt. Wow. Toll, Grace. Ist das der Lohn dafür, dass ich hier oben sterbe?
    „Jesus ist mein Begleiter“, sagte Leon stolz. „Grace, ich möchte Sie in meine Kirche mitnehmen, damit Sie die wahre Bedeutung von Heiligkeit erfahren.“
    Die Rechnung, bitte! „Vielen Dank, Leon, aber ich habe eine eigene Kirche“, antwortete ich. „Die finde ich sehr schön, und ich habe kein Interesse daran, in eine andere zu gehen.“
    Leon kniff wieder seine fanatisch glänzenden Augen zusammen. „Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie Gott wahrhaftig angenommen haben, Grace.“ Er runzelte die Stirn.
    Das reichte. Genug war genug. „Also gut, Leon, seien wir ehrlich. Sie kennen mich seit einer Dreiviertelstunde. Wie zum Teufel wollen Sie das wissen?“
    Bei dem bösen T-Wort zuckte Leon zurück. „Das ist Blasphemie!“, zischte er. „Es tut mir leid, Grace, aber wir haben keine gemeinsame Zukunft. Sie sollen geradewegs dorthin fahren, wo der wohnt, den Sie so unbedacht genannt haben!“ Er stand auf.
    „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“, erinnerte ich ihn. „Tja, nett, Sie kennengelernt zu haben und weiterhin viel Glück dabei, eine Partnerin zu finden!“ Ich war ziemlich sicher, dass Gott stolz auf mich wäre. Ich hatte nicht nur ein Zitat aus der Bibel geliefert, sondern auch die andere Wange hingehalten, gewissermaßen.
    Als ich wieder in meinem Wagen saß, musste ich leider feststellen, dass es erst acht Uhr war. Erst acht Uhr, und ich war schon aus Flammen gerettet und zur Hölle geschickt worden … und immer noch kein Freund in Sicht! Ich seufzte.
    Zum Glück kannte ich ein gutes Heilmittel gegen Einsamkeit – es hieß Golden Meadows . Zwanzig Minuten später saß ich in Zimmer Nummer 403.
    „Ihr weißes Satinnachthemd glitt mit verführerischem Flüstern zu Boden.“ Ich hielt inne und sah zu meinem Publikum, das aus einem einzigen Mann bestand. „Seine Augen strahlten tiefblau vor Lust, seine Lenden brannten beim Anblick ihres milchweißen, bebenden Busens. ‚Ich bin Euer, Mylord‘, sagte sie und reckte ihm ihre vollen Lippen entgegen. Sein Verstand war wie ausgeschaltet, als er die Hand nach ihrer Brust ausstreckte … Na, das ist aber mal ein Paradebeispiel für falschen Bezug. Ich kann Ihnen versichern, dass sein Verstand auf keinen Fall nach ihrer Brust griff.“
    Ein weiterer Blick zu Mr Lawrence bestätigte mir denselben Grad an Aufmerksamkeit wie zuvor – nämlich gar keinen. Mr Lawrence war ein schmächtiger, zusammengekrümmter Mann mit weißem Haar und leeren Augen, der nicht sprach und mit den Händen permanent an seiner Kleidung und den Sessellehnen herumzupfte. In all den Monaten, die ich ihm schon vorlas, hatte er noch kein einziges Wort gesprochen. Hoffentlich genoss er unsere Lesezeiten wenigstens und schrie nicht innerlich nach James Joyce. „Also, zurück zur Geschichte. Sollte er auf dieses Versprechen verbotener Leidenschaft eingehen und mit hartem Verlangen in die zarte Tiefe ihres beseligenden

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