Ich habe mich verträumt
was hoffentlich nicht bedeutete, dass er schwul war. Doch ich beschloss, das für den Moment zu vernachlässigen. Ich war mir allerdings nicht sicher, worin sein Unternehmen bestand. Unterhaltungsindustrie … hm. Vielleicht war er ein Agent oder so etwas. Oder er hatte eine Plattenfirma oder einen Club. Jedenfalls klang es spannend.
Jeff und ich wollten uns auf einen Drink in Farmington treffen, und danach würde ich zu einem kleinen Snack mit Leon fahren. Leon war Biolehrer, also war schon mal klar, dass wir uns viel zu erzählen hätten … tatsächlich war es in unserenbisherigen drei E-Mails immer um Schule gegangen, die angenehmen und unangenehmen Seiten des Lehrerdaseins, und ich freute mich darauf, auch etwas über sein Privatleben zu erfahren.
Ich fuhr zum verabredeten Ort, einem Lokal in der Nähe eines Einkaufszentrums mit viel falschem Tiffany-Zeug und Sportsouvenirs. Aufgrund des Fotos erkannte ich Jeff sofort er war klein und irgendwie süß, braunes Haar, braune Augen, ein nettes Grübchen in der linken Wange. Wir begrüßten uns mit einer dieser ungelenken Umarmungen, bei denen man nicht wusste, wie weit man gehen konnte, und am Ende berührten sich unsere Wangen wie bei zwei Damen der feinen Gesellschaft. Doch Jeff spielte mit einem Lächeln darüber hinweg, was ihn sehr sympathisch machte. Wir folgten dem Kellner zu einem kleinen Tisch, bestellten jeder ein Glas Wein und fingen an zu reden. Von da an ging es bergab.
„Jeff, ich habe mich gefragt, was genau Sie beruflich machen“, begann ich nach einem Schluck Wein.
„Ich habe ein eigenes Unternehmen“, antwortete er.
„Genau. Aber was für ein Unternehmen?“
„In der Unterhaltungsbranche.“ Er lächelte hintergründig und schob Salz- und Pfefferstreuer nebeneinander.
„Aha. Und wie genau unterhalten Sie?“
Er grinste. „Na so!“, erwiderte er, lehnte sich zurück und setzte mit einem flinken Fingerschnipsen den Tisch in Brand.
Später, nachdem die Feuerwehr den Brand gelöscht hatte und es als sicher erachtete, dass die Gäste wieder ins Lokal zurückkehren könnten, in dem noch eine Menge Schaum vom Ersticken der „Unterhaltung“ herumlag, sah Jeff mich verständnislos an. „Kann denn keiner mehr was mit Zauberei anfangen?“, wollte er wissen.
„Sie haben das Recht zu schweigen“, zitierte ein Polizist pflichtschuldig.
„Das Feuer sollte nicht so groß sein“, informierte Jeff den Beamten, den das aber offenbar nicht sonderlich interessierte.
„Dann sind Sie also Zauberer?“, fragte ich nach, während ich an einer Haarsträhne roch, die angesengt worden war.
„Das ist mein Traum“, erwiderte er, während der Polizist ihm Handschellen anlegte. „Magie ist mein Leben.“
„Aha“, meinte ich nur. „Na, dann weiterhin viel Glück.“
Lag es an mir, oder warum wurden neuerdings so viele Männer in meinem Umkreis in Handschellen abgeführt? Erst Callahan O’Shea, jetzt Jeff. Allerdings hatte Callahan bedeutend besser ausgesehen als Jeff, der mehr wie ein eingesperrtes Frettchen wirkte. Ja, wenn es um Handschellen ging, war Callahan O’Shea eindeutig … Ich brach den Gedankengang ab. Gleich musste ich Leon, den Lehrer treffen, und da die Feuerwehr von Farmington so tüchtig war, hatte ich noch nicht einmal Verspätung.
Mit Leon begann es hoffnungsvoll. Sein Haar lichtete sich schon etwas, aber auf attraktive Weise, so wie bei Ed Harris. Er hatte leuchtend blaue Augen, ein jungenhaftes Lachen, und er schien mich interessant zu finden, was ihn wiederum für mich attraktiv machte. Wir redeten etwa eine Stunde über unser Lehrerdasein, klagten über allzu eifrige Eltern und lobten die Auffassungsgabe mancher Kinder.
„Jetzt möchte ich Sie einmal etwas fragen, Grace“, sagte er plötzlich und schob den Teller mit unserer Vorspeise beiseite, um meine Hand zu nehmen. Wie gut, dass ich mir in der Woche eine Maniküre gegönnt hatte! Er sah mich ernst an. „Was, würden Sie sagen, ist das Wichtigste in Ihrem Leben?“
„Meine Familie“, antwortete ich sofort. „Wir stehen uns sehr nah. Ich habe zwei Schwestern, eine ältere und …“
„Ich verstehe. Was sonst noch, Grace? Was kommt als Nächstes?“
„Äh, also … meine Schüler, denke ich. Ich liebe meine Schüler, und ich möchte sie für Geschichte begeistern. Sie …“
„Aha. Sonst noch etwas, Grace?“
„Na ja“, erwiderte ich ein wenig angesäuert, dass er mich schon zwei Mal unterbrochen hatte, „sicher. Ich meine, ich arbeite noch
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