Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
Vom Netzwerk:
Mitten in der Nacht, zu beliebigen Zeiten und Unzeiten überkam er mich und zwang mich zum Arbeiten. Zum Abarbeiten alles Erlebten. Nährte er sich aus nicht gelebter Sexualität?
    Ich nahm an diesem Tag nicht nur wehmütig Abschied von meinen moralischen Idealen, sondern auch von meinen künstlerischen Festlegungen. Etwas gänzlich Neues kündigte sich an. Ich würde sein Musikinstrument werden, ich würde zu Klang werden. Es war ein fast religiöses Gefühl. Die Zukunft schien sich mir in ungeahnte Weiten zu öffnen.
    Es hatte aufgehört zu schneien. Da klingelte es erneut, es war Paik. Er war erstaunt über die vielen herumstehenden Blumensträuße, doch diskret genug, nicht nachzufragen, und lud mich in sein Studio ein, um die diesjährigen gemeinsamen Veranstaltungen zu besprechen. Er hatte die Idee, eine Omnibustournee mit musikalischen und allerlei sonstigen Aktionen durch verschiedene Städte zu organisieren, wollte mir aber auch seine neuen Tonbandcollagen vorspielen.
    Mir war, als befände ich mich an einer Weggabelung. Als stünden hinter mir zwei Schicksalsengel, denen mein Ent schluss zum eigenen Überleben diente. Sollte ich diesen oder jenen Weg gehen? Fast schien es mir, als blinzelten die beiden Wesen sich zu, während ich mich noch quälte mit meinem Entweder-oder. Mir wurde klar, dass ich, wenn ich jetzt mit Paik gehen würde, mich retten könnte in eine Welt der Kunst und des Kunstmanagements, zugleich jedoch des Verzichts auf jegliche ausgelebte Partnerschaft. Es wäre aber nicht nur ein Verzicht, es läge darin auch das Versprechen auf einen Gewinn, der nur errungen werden könnte, wenn alle Energie sich einem Ziel unterordnen würde: der Kunst. Ich wäre mir männlich vorgekommen in diesem Moment, hätte ich den radikalen Weg gewählt. Doch ich wählte den anderen, diffuseren. Den, den ich zwar noch nicht klar erkennen konnte, der mich aber mehr lockte.
    So stolperte ich in mein Frausein. Sagte Ja zu allem Unwillkürlichen, nur Gefühlten, zum Irrationalen, zu allem Unbekannten. Es war mir dann plötzlich, als hätte sich mir der Tod gezeigt, von seiner sanften Seite, da, wo er beruhigt, einen eine Pause einlegen lässt in diesem reißenden Lebensstrom, in den zu stürzen ich mich anschickte.
    Ich riss die Deichmauer also selbst nieder. Paik ging wieder, und kurze Zeit später kam Stockhausen. Wir verließen das Haus, draußen war wieder Abend, und er nahm mich bei der Hand. Wir liefen am Rhein entlang, liefen wie Kinder, sprachen nichts. Ich überließ mich ihm, vertraute auf das neue Gefühl, nicht für alles allein verantwortlich zu sein. Wir gingen zunächst chinesisch essen. Dann fuhren wir in seine Wohnung nach Köln-Braunsfeld. Dort lebte er mit seiner Familie, Doris war aber mit den Kindern schon in den Winterurlaub gereist. Wir vereinbarten, uns nicht zu berühren. Versicherten uns, dass wir nur beieinander sein wollten. Legten uns aufs Bett, schliefen angezogen – sozusagen das gedankliche Schwert zwischen uns –, wenn auch eng umschlungen miteinander ein, beherrschten unser Verlangen.
    Während wir schliefen, geschah etwas mit uns, das ich mir selbst kaum erklären kann, so als hätten irgendwelche Wesen aus unserem verdrängten Begehren ein Netz gesponnen, das uns einfing. Ich wachte auf, nackt in seinen Armen. Wir lagen auf seinem großen neuen Bett, das er sich unter der Dachschräge in seinem Komponierzimmer gerade hatte einbauen lassen. Was würde in diesem Bett noch alles geschehen? Dort würden wir irgendwann zu dritt liegen, Doris, er und ich, dort würde ich mit seinen Kindern liegen und ihnen Märchen vorlesen in Zeiten, in denen er mit Doris in den Urlaub fuhr, um auch mit ihr wieder einmal allein zu sein.
    Es kann nichts ungeschehen gemacht werden. Für uns begann ein Schicksalsweg, der vorgezeichnet zu sein schien. Nach dem Übertreten der Schwelle war mir jedenfalls eine Umentscheidung nicht mehr möglich. Alles nahm seinen Lauf, es war ein elf Jahre währender Fackellauf. Die Flamme der Fackel galt zunächst noch dem Du, konnte sich aber allmählich weiten zum Wir. Erst zum kleinen Wir, mit Doris und Familie, dann zum größeren Wir, alle einbeziehend, die ihm Muse wurden, und letztendlich zum anonymen Wir aller Geschöpfe. Ich wurde religiös in dem Moment, als ich mich ihm zu öffnen wagte. Und schon im kleinen, engen Flur hatte ich in der Nacht zuvor innerlich gesungen: »Gott, du hast mich erfüllt.« Gott, von dem ich mich doch so verlassen gefühlt hatte in

Weitere Kostenlose Bücher