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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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sehnte, und eine, mit der er lebte. Eine war ihm Muse, eine war ihm Heimat.
    Aber so weit sind wir noch nicht. Noch sind wir auf dem großen Bett, noch muss ich ihm erzählen von den Widersprüchlichkeiten meiner Jungmädchenjahre, den Idealen, die mich beseelten, und vom Verrat an ihnen. Ich war ja nach strengen Grundsätzen erzogen worden, hatte keine Ahnung von der Sexualität und war nie aufgeklärt worden. Frauen hatten als Jungfrau in die Ehe zu gehen, körperliche Liebe erfüllte nur den Zweck des Kinderzeugens. Man wählte seinen Partner für das ganze Leben und war ihm treu. Und wenn es der falsche war, dann blieb es eben ein Leben lang der falsche, bis dass der Tod euch scheidet. Das hatte ich ja nun im Fall von Benno nicht durchgehalten. Und jetzt – wir beide? Er als verheirateter Mann kam als Partner doch eigentlich gar nicht in Frage?
    Wir berichteten uns alles wie eine große Lebensbeichte. Jeder holte aus seinem Unterbewussten auch die verdrängten Geheimnisse hervor. Am sechsten Tag war es, als ich von seinen Erlebnissen am Ende des Krieges erfuhr. Er war lange Jahre im Internat gewesen, in der Lehrerbildungsanstalt Xanten, wo er unter dem kasernenähnlichen Betrieb zu leiden hatte. Im Herbst 1944 wurden die meist älteren Schüler in den Krieg beordert. Karlheinz und zwei weitere, die zu jung für die Einberufung als Soldaten waren, wurden nach Schloss Bedburg verlegt, das zu einem Notlazarett umfunktioniert worden war. In diesem Schloss und einem daneben eingerichteten Zeltlager im Wald unweit der Westfront musste Karlheinz nun als Krankenträger den Soldaten helfen. Es gab Feldbetten, auf die die Verwundeten gelegt wurden, Operationen, Amputationen, Blut, Verbände, Schmerzensschreie. Seine Aufgabe war es, die hoffnungslosen Fälle in die Kälte hinauszutragen, sie dort abzuladen, um die Betten für die Nächsten frei zu machen. Die meisten waren schon im Koma oder im Fieberwahn, andere aber doch noch bei Bewusstsein. So wurde er zu ihrem Zeugen, Berichterstatter und Boten ihrer letzten Worte: Adresse, Frau, Kinder, Heimat, Grüße, Wünsche und Beteuerungen. Manche verlangten nach einem Pfarrer, doch den gab es nicht. Stattdessen beichteten sie dann Karlheinz ihre Gräueltaten. Der Krieg hatte die Bestie im Menschen entfesselt.
    Damit wurde Karlheinz also als sehr junger Mann konfrontiert. Dazu kam noch, dass der andere Lazaretthelfer ihm erotische Avancen machte – Ähnliches war ihm auch schon im Internat widerfahren. Und alldem war er allein ausgesetzt, seine Mutter war umgebracht worden, sein Vater im Krieg gefallen. Dessen letzte Worte, bevor er nach einem Heimaturlaub erneut an die Front gezogen war, hatte er noch im Ohr: »Junge, ich komm nicht mehr zurück.«
    Vorher hatte auch er ihm in einer Art Beichte noch von furchtbaren Taten und Erlebnissen, an denen er beteiligt gewesen war, erzählt: Wie er seinen besten Freund nach dessen Versuch zu desertieren gemeinsam mit vier anderen Soldaten hinrichten musste und, als alle danebenzielten, sein Freund ihn anschrie: »Simon, schieß doch endlich!« Von Vergewaltigungen, bei denen er im Osten mitgemacht hatte. Eine blonde und eine schwarzhaarige Frau waren die Opfer; die Männer ritten auf die Frauen zu, stürzten sich vom Pferd herab auf sie, einer nach dem anderen, immer mehr und immer wieder, bis die Schwarzhaarige tot war. Da erst hatten sie, bestürzt über ihre eigene Grausamkeit, von der Blonden abgelassen und sie laufen lassen.
    Das erzählte mir Karlheinz, als wäre es seine eigene Ge schichte. Er war damals etwa sechzehn Jahre alt gewesen und meinte, der Vater habe ihn bewusst alleingelassen, er hätte vielleicht gar nicht mehr an die Front zurückkehren müssen, man hätte ihn bestimmt verstecken können. Doch sein Vater hatte ihm beizubringen versucht, dass die Ehre, das Heldentum und die Kameraden, mit denen man das Undenkbare, Unvorstellbare durchgemacht hatte, mehr zählten als alles auf der Welt. Bei Kriegsende erblickte Karlheinz dann die traurigen Reste der zerstreuten Armeen aufgehängt an Bäumen, ob als Deserteure ordentlich verurteilt am Strick oder selbst gerichtet mit Gürtel oder sonst etwas. Das Grauen wollte nicht aufhören, Tage brauchte er, um sich nach Hause zu seiner Stiefmutter und den Geschwistern durchzuschlagen.
    Und noch viel mehr haben wir uns erzählt. Dinge, die wir zuvor noch nie mit jemandem geteilt hatten. Stockhausens Worte zu unser beider Lebensgeschichten: »Wir sind halt geprügelte Hunde.« Es

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