Ich hasse dich - verlass mich nicht
dass die Familie endlich ein gewisses Maß an finanzieller Sicherheit hatte. Also ließ Annette zu, dass diese Situation andauerte – aus Liebe zu ihrer Mutter.
Mit 17 Jahren wurde Annette schwanger und heiratete den Vater des Kindes. Sie bestand die Abschlussprüfung auf der Highschool, wo ihre Noten im Allgemeinen gut waren. Aber andere Aspekte ihres Lebens waren in Aufruhr: Ihr Mann trank und stellte anderen Frauen nach. Nach einiger Zeit begann er sie zu schlagen. Trotzdem bekam sie weitere Kinder von ihm, klagend und geduldig – um der Kinder willen.
Nach sechs Jahren und drei Kindern verließ Annettes Mann sie. Sein Weggang führte zu einer Art ängstlicher Erleichterung – der wilde Ritt war endlich vorbei, aber Ängste, was sie als Nächstes tun sollte, tauchten unheilvoll auf.
Annette und die Kinder versuchten allein zurechtzukommen, aber sie fühlte sich ständig überfordert. Dann lernte sie John kennen, der etwa 25 Jahre älter war als sie (er weigerte sich, sein tatsächliches Alter zu nennen) und sich wirklich um sie zu kümmern schien. Er wurde zu dem guten Vater, den Annette nie gehabt hatte. Er ermutigte und beschützte sie. Er gab ihr Ratschläge, wie sie sich kleiden und wie sie reden sollte. Nach einer Weile wurde Annette selbstbewusster, bekam einen guten Job und begann das Leben zu genießen. Einige Monate später zog John bei ihr ein – aber nicht ganz. Er lebte an den Wochenenden bei ihr, schlief aber während der Woche woanders, angeblich wegen beruflicher Aufgaben, weil es »bequemer ist, im Büro zu schlafen«.
Tief in ihrem Innern wusste Annette, dass John verheiratet war, aber sie stellte keine Fragen. Als John weniger verlässlich wurde, öfter nicht kam und im Allgemeinen distanzierter wurde, behielt sie ihren Zorn für sich. Im Beruf kam dieser Zorn jedoch an die Oberfläche, und sie wurde mehrfach übergangen, wenn eine Beförderung anstand. Ihre Vorgesetzten behaupteten, sie hätte nicht die akademischen Qualifikationen der anderen, und sagten, dass sie bisweilen abweisend sei, aber Annette akzeptierte diese Erklärungen nicht. Erbost führte sie die Zurückweisungen auf Rassendiskriminierung zurück. Sie wurde immer depressiver und ließ sich schließlich stationär behandeln.
Im Krankenhaus explodierte Annettes Empfindlichkeit wegen ihrer Hautfarbe. Die meisten Ärzte waren Weiße, genau wie der Großteil der Schwestern und Patienten. Die Krankenhausumgebung war »weiß«, die Mahlzeiten waren »weiß«. Ihr ganzer Zorn, der sich über die Jahre hinweg aufgestaut hatte, konzentrierte sich jetzt auf die Ablehnung der Gesellschaft Schwarzen gegenüber. Da Annette sich ausschließlich auf diese Frage konzentrierte, vermied sie es, sich mit ihren persönlichen bösen Geistern auseinanderzusetzen.
Harry, der Musiktherapeut am Krankenhaus, war eine besondere Herausforderung für sie. Annette hatte das Gefühl, dass Harry (ein Weißer) darauf bestand, nur »weiße« Musik zu spielen, und dass sein Aussehen und sein ganzes Verhalten »Weißsein« verkörperten. Annette machte ihrem Zorn auf den Therapeuten Luft und verließ wütend die Musiksitzungen.
Obwohl Harry vor ihren Wutausbrüchen Angst hatte, suchte er Annette auf. Seine Unterstützungsaussage spiegelte seine persönliche Sorge um Annettes Erfolg im Krankenhausprogramm wider. Harry drückte sein Mitgefühl für Annette aus, indem er anerkannte, wie frustrierend es ist, wenn man diskriminiert wird. Er belegte dies mit seinen eigenen Erfahrungen, die er als einer der wenigen Juden während seiner Ausbildung gemacht hatte. Dann versuchte Harry, Annette mit der Wahrheit oder Realität und mit ihren Problemen zu konfrontieren. Er wies darauf hin, dass es sinnlos sei, über rassistische Diskriminierung zu schimpfen, wenn man nicht gleichzeitig für eine Veränderung kämpft. Harry erklärte, dass Annettes Bedürfnis, Opfer zu bleiben, sie davor schützte, die Verantwortung für das zu übernehmen, was in ihrem Leben passierte. Sie fühlte sich gerechtfertigt, indem sie das Schicksal verfluchte, statt mutig die eigene Rolle zu untersuchen, aufgrund derer sie immer wieder von anderen missbraucht wurde. Annette wickelte einen Schleier selbstgerechten Zorns um sich und vermied jegliche angsterregende Selbstuntersuchung oder Konfrontation, die zu einer Veränderung führen könnte. Auf diese Weise blieben ihre Ohnmacht und Hilflosigkeit erhalten. Sie vermochte es nicht, Änderungen um ihretwillen herbeizuführen.
Bei der
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