Ich hasse dich - verlass mich nicht
Selbstmord. Obwohl er seinen Onkel nicht sehr gut gekannt hatte, verstand er, dass seine Eltern von dem Selbstmord sehr betroffen waren. Nach diesem Ereignis wurden seine Eltern sogar noch fürsorglicher und bestanden darauf, dass er jedes Mal von der Schule zu Hause blieb, wenn er sich krank fühlte. Mit zwölf Jahren erklärte Ralf, dass er unter Depressionen leide. Damals begann er, eine Unmenge an Therapeuten aufzusuchen.
Ralf war ein mittelmäßiger Schüler. Als er das College besuchte, lernte er dort Denise kennen. Sie war die einzige Frau, die je Interesse für ihn gezeigt hatte, und nach kurzer Zeit heirateten sie. Beide verließen das College und begannen pflichtbewusst zu arbeiten, verließen sich aber auf Ralfs Eltern zur Finanzierung des Haushalts und von Ralfs fortgesetzter Therapie.
Das Paar zog häufig um; immer wenn Denise sich in ihrem Job oder an einem Ort langweilte, zogen sie woandershin. Sie bekam immer schnell einen neuen Job und gewann neue Freundinnen, aber Ralf hatte große Schwierigkeiten und war oft monatelang arbeitslos.
Als sie beide immer mehr tranken, verschlimmerten sich die Streitigkeiten zwischen ihnen. Wenn sie miteinander stritten, verließ Ralf bisweilen seine Frau und zog wieder zu den Eltern. Dort blieb er dann, bis es in der Familie zu Streitigkeiten kam. Dann kehrte er zu Denise zurück.
Häufig hatten seine Frau und seine Eltern genug von seiner Launenhaftigkeit und seinen vielfältigen medizinischen Klagen. Dann drohte er jedoch, sich umzubringen, und seine Eltern gerieten in Panik. Sie bestanden darauf, dass er neue Ärzte aufsuchte, und flogen überall mit ihm hin, damit er verschiedene Experten um Rat fragen konnte. Sie arrangierten Krankenhausaufenthalte in mehreren renommierten Einrichtungen, aber nach kurzer Zeit ließ Ralf sich immer gegen das Anraten der Ärzte entlassen, und seine Eltern schickten ihm das Geld für das Flugticket nach Hause. Ständig drohten sie damit, ihm weitere finanzielle Unterstützung zu versagen, machten aber ihre Drohungen nie wahr.
Der Beruf und die Begegnungen mit Freunden hinterließen einen immer undeutlicheren Eindruck und blieben unbefriedigend. Jedes Mal, wenn neue Bekannte oder ein neuer Job in irgendeiner Weise enttäuschend waren, gab Ralf auf. Seine Eltern rangen die Hände; Denise ignorierte ihn. Ralf geriet immer mehr außer Kontrolle, ohne dass jemand ihm Grenzen setzte, auch er selbst nicht.
Anzeichen der Borderline-Persönlichkeitsstörung bei Freunden und Verwandten erkennen
Trotz des Brodelns unter der Oberfläche kann es sehr schwer sein, eine Borderline-Persönlichkeit zu identifizieren. Anders als viele Menschen, die unter anderen psychischen Störungen leiden – Schizophrenie, bipolare (manisch-depressive) Störungen, Alkoholismus oder Essstörungen – kann die Borderline-Persönlichkeit im Beruf und in sozialen Situationen meistens sehr gut funktionieren, ohne offensichtlich pathologisch zu erscheinen. Tatsächlich scheinen die Anzeichen des Borderline-Verhaltens wie Wutausbrüche, extremes Misstrauen oder Depressionen mit Selbstmordabsichten bei einem Menschen, der so »normal« wirkte, plötzlich und unerwartet aufzutreten.
Die Ausbrüche der Borderline-Persönlichkeit sind meistens sehr angsterregend und geheimnisvoll – für den Betroffenen selbst und für die Menschen, die ihm nah sind. Aufgrund der plötzlichen und extremen Natur bestimmter auffallender Symptome kann man leicht in die Irre geführt werden und nicht erkennen, dass es sich um eine Manifestation einer Borderline-Persönlichkeitsstörung handelt und nicht um eine separate, primäre Krankheit. Ein Mensch beispielsweise, der versucht, sich durch eine Überdosis zu töten, oder sich die Pulsadern aufschneidet, kann als depressiv eingestuft werden. Wahrscheinlich werden ihm Antidepressiva verschrieben und eine kurze, unterstützende Psychotherapie. Wenn der Patient unter einer durch das biochemische Ungleichgewicht ausgelösten Depression leidet, verbessert diese Art der Behandlung seinen Zustand und er wird relativ schnell und vollständig gesund. Wenn die destruktiven Verhaltensweisen jedoch durch eine Borderline-Persönlichkeitsstörung ausgelöst wurden, hört das selbstverletzende Verhalten trotz der Behandlung nicht auf. Selbst wenn der Betreffende sowohl depressiv ist als auch unter der Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet (wobei es sich um eine häufige Kombination handelt), behandelt dieser Ansatz die Krankheit nur teilweise
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