Ich hasse dich - verlass mich nicht
erbringen, indem er mehr Zugang zur Gefühlswelt demonstriert. Schließlich bietet die Gruppe ein lebensnahes Labor für Experimente, in dem der Patient verschiedene Verhaltensmuster mit anderen Menschen ausprobieren kann, ohne es zu riskieren, von der »Welt draußen« bestraft zu werden.
Doch ausgerechnet die Eigenschaften, die die Gruppentherapie zu einer potenziell attraktiven Behandlungsmethode für Borderline-Patienten machen, sind die Ursache dafür, dass diese Patienten sich oft einer Gruppensituation widersetzen. Die Forderung nach individueller Aufmerksamkeit, Neid und Misstrauen anderen gegenüber, der widersprüchliche Wunsch nach und die Angst vor intensiver Nähe tragen alle dazu bei, dass viele Borderline-Patienten gegenüber einer Behandlung in der Gruppe eher zurückhaltend sind. Borderline-Persönlichkeiten, die weniger betroffen sind, können diese Frustrationen der Gruppentherapie tolerieren und die »In-vivo«-Erfahrung nutzen, um Fehler in der Wechselbeziehung zu anderen anzugehen. Stärker betroffene Borderline-Patienten verweigern jedoch häufig die Teilnahme, und wenn sie sich doch dazu entschließen, bleiben sie nicht lange dabei.
Der Borderline-Patient muss in der Gruppentherapie wahrscheinlich beträchtliche Hindernisse überwinden. Seine Ichbezogenheit und das fehlende Mitgefühl anderen gegenüber verhindern oft, dass er von den Problemen anderer wirklich berührt ist. Wenn die Probleme des Borderline-Patienten zu stark abweichen oder die Themen zu intensiv sind, fühlt er sich isoliert und losgelöst. Ein Patient, der beispielsweise Inzest in der Kindheit, eine abweichende Sexualpraktik oder eine schwere Drogenabhängigkeit diskutiert, fürchtet möglicherweise, dass er andere Gruppenmitglieder schockiert. Und tatsächlich haben manche Teilnehmer Schwierigkeiten, sich mit derartigem Stoff auseinanderzusetzen. Wenn sich in einer Gruppe mehrere Borderline-Patienten befinden, haben sie vielleicht das Gefühl, dass die Bedürfnisse des Einzelnen vom Therapeuten nicht erfüllt werden. In solchen Situationen versuchen sie, sich umeinander so zu kümmern, wie sie eigentlich umsorgt werden möchten. Dies kann zu Kontakten der Patienten untereinander außerhalb der Gruppe führen und zu einer Fortsetzung der Abhängigkeitsbedürfnisse, während sie versuchen, einander zu »behandeln«. Liebesbeziehungen oder auch geschäftliche Beziehungen zwischen Gruppenmitgliedern enden meistens unglücklich, weil diese Patienten nicht in der Lage sind, die Gruppe objektiv zu nutzen, um diese Beziehung, die oft die Fortsetzung der unproduktiven Suche nach Fürsorge ist, zu untersuchen.
Die 29-jährige Eva wurde nach zwei Jahren Einzeltherapie zur Gruppentherapie angemeldet. Als älteste von vier Töchtern war Eva von ihrem Vater sexuell missbraucht worden. Dieser Missbrauch begann, als sie etwa fünf Jahre alt war, und wurde über einen Zeitraum von zehn Jahren fortgesetzt. Ihre Mutter empfand Eva als schwach und unfähig und ihren Vater als fordernd, als einen Menschen, dem nichts recht gemacht werden konnte. In ihrer Jugend wurde sie zur Fürsorgerin für die ganze Familie. Während ihre Schwestern heirateten und Kinder bekamen, blieb Eva allein, besuchte das College und anschließend die Universität. Sie hatte kaum Freundinnen und verabredete sich nur selten mit Männern. Sie hatte zwei Beziehungen mit verheirateten Männern, die viel älter als sie waren und zudem ihre Vorgesetzten. Den größten Teil ihrer Freizeit verbrachte sie damit, Familienfeste zu organisieren, für kranke Familienmitglieder zu sorgen und sich allgemein um Probleme in der Familie zu kümmern.
Wegen ihrer Isolationsgefühle und ihrer Depressionen begann Eva eine Einzeltherapie. Da sie die Grenzen der eigenen sozialen Funktion erkannte, bat sie später, zur Gruppentherapie überwiesen zu werden. Dort etablierte sie schnell ihre Position als Helferin und verneinte, dass eigene Probleme bestanden. Oft wurde sie wütend auf den Therapeuten, der sich angeblich gegenüber den Gruppenmitgliedern wenig hilfreich verhielt.
Die Gruppenmitglieder ermutigten Eva, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, mit denen sie sich bisher nicht hatte beschäftigen können – ihr ewig finsterer und einschüchternder Gesichtsausdruck und ihre Sprechweise, die auf subtile Art zornig war. Obwohl dieser Prozess sich über viele Monate hinzog und sie frustrierte, konnte sie schließlich ihre Verachtung für Frauen, die in der Gruppe zutage getreten war,
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